Kondomhersteller, Ärzte: Wer zahlt für ein "ungewolltes Kind"?
Ein Gynäkologe, der die Fehlbildung eines Fötus nicht erkannt hat, muss für den gesamten Unterhalt des mit einer Behinderung geborenen Kindes aufkommen. Ein Elternpaar hatte geklagt, weil es sich bei einer Aufklärung des Arztes für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätte. Durch die Geburt des Kindes entstand ein finanzieller Schaden - für den nun der Gynäkologe aufkommen muss.
Wer zahlt für "ungewolltes Kind"?
Das Urteil des Obersten Gerichtshofes (OGH) von vergangener Woche hat diverse heikle Fragen aufgeworfen. Der OGH hat in seiner Entscheidung nämlich - vereinfacht gesagt - klargestellt: Es darf nicht unterschieden werden, ob ein Kind ungewollt empfangen wird (etwa durch eine missglückte Vasektomie oder eine gebrochene Spirale) oder durch einen Fehler des Arztes eine Fehlbildung unerkannt bleibt und deshalb ein Kind mit Behinderung ungewollt zur Welt kommt.
In beiden Fällen können Ärzt:innen dem OGH-Urteil zufolge zur Verantwortung gezogen werden und müssen gegebenenfalls für den Unterhalt der Kinder aufkommen. Laut OGH handelt es sich um eine Judikaturwende zu "wrongful birth" (ungewollte Geburt) und "wrongful conception" (ungewollte Empfängnis): In beiden Fällen wäre die Geburt des Kindes unterblieben, hätte der Arzt nicht sorgfaltswidrig gehandelt, so die Begründung.
Verpfuschte Vasektomie oder gerissenes Kondom
Im "Ö1"-Morgenjournal erklärte Matthias Neumayr, Professor für Zivilrecht an der Universität Linz, die weitreichende Wirkung des Urteils zur ungewollten Geburt eines behinderten Kindes. Dieses könne sich auch auf den Erfolg von Klagen jener Eltern auswirken, die ein gesundes Kind bekommen haben, das sie eigentlich nicht wollten.
Laut Neumayr, ehemaliger Vizepräsident am Obersten Gerichtshof, könnte nun auch dann einem Schadenersatzanspruch der Eltern stattgegeben werden, wenn etwa eine Vasektomie des Vaters nicht funktioniert hat - dies sei bislang weitgehend abgelehnt worden.
Doch nicht nur Urolog:innen und Gynäkolog:innen könnten künftig für eine ungewollte Schwangerschaft verantwortlich gemacht werden. Laut "Ö1" könnten theoretisch auch Kondomhersteller bei einem schadhaften Kondom die finanzielle Verantwortung für ein ungewolltes Kind tragen.
Gleichsetzung von Kindern mit und ohne Behinderung
Die Gleichsetzung von ungewollten Kindern mit und ohne Behinderung, wie im aktuellen Urteil festgehalten, hält Neumayr im Gespräch mit "Ö1" für "problematisch". Wird im Rahmen einer pränatalen Diagnostik eine Behinderung erkannt, sei das Kind schließlich grundsätzlich gewünscht gewesen. Ist hingegen ein Kondom gerissen oder eine Spirale gebrochen, war das Kind wohl von vornherein nicht gewollt.
Laut Dr. Maria Kletečka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin müsse in diesem Fall unterschieden werden, worin der finanzielle Schaden der Betroffenen liegt. Hat beispielsweise eine Vasektomie nicht funktioniert, wäre der finanzielle Schaden der Unterhalt des Kindes, weil man kein Kind wollte.
Wurde allerdings eine Fehlbildung übersehen, "dann wollte man ja grundsätzlich ein Kind und wäre bereit gewesen, den Unterhaltsschaden zu übernehmen", so Kletečka-Pulker im "Ö1"-Morgenjournal. Hinzu komme in diesem Fall lediglich der finanzielle Mehraufwand, der durch die Behinderung des Kindes entsteht. Beim aktuellen Urteil müsse jedoch der gesamte Unterhalt gezahlt werden, nicht nur der Mehrunterhalt für ein behindertes Kind.
"Es geht ja natürlich nicht darum, dass das Kind ein Schaden ist", so die Privatdozentin für Medizinrecht und Patientensicherheit. "Es geht um den finanziellen Schaden, den Unterhalt." Fehler würden hier zu enormen finanziellen Belastungen führen. Kunstfehler ließen sich über die Versicherungen der Ärzt:innen abwickeln.
Nun gäbe es die Forderung, gesetzlich festzuhalten, dass Ärzt:innen im Falle eines "ungewollten Kindes" mit Behinderung nur für den finanziellen Mehraufwand aufkommen müssen - nicht für den gesamten Unterhalt. Ansonsten sei es nach Einschätzung der Dozentin für Medizinrecht und Patientensicherheit "diskriminierend" und eine Entscheidung, die man auch "nach der UN Behindertenkonvention anschauen" müsse.
Abtreiben für "Schadensminderung"?
Laut "Ö1" könnten auch betroffene Eltern in ein Dilemma geraten. Wird ein gesundes Kind mit einem unauffälligen Organscreening ungewollt empfangen und auf Unterhalt geklagt, stelle sich laut Matthias Neumayr die Frage, ob die Mutter im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht dazu verpflichtet wäre, die Schwangerschaft abzubrechen.
Das Schadensrecht würde vorgeben, Schaden abzuwenden oder zu mindern - in diesem Fall von Ärzt:innen, die für den Unterhalt eines Kindes aufkommen müssten. Als Geschädigter sei man dafür verantwortlich, einen Schaden möglichst gering zu halten, so Neumayr.
Dass es damit quasi zu einer Art Pflicht für Schwangerschaftsabbrüche kommen könnte, glaubt Neumayr zwar nicht. Eine Regelung fehle jedoch, alles stütze sich auf einzelne, teils widersprüchliche Gerichtsurteile. Für Kletečka-Pulker ist es "aus rechtlicher und ethischer Sicht undenkbar", dass eine Mutter verpflichtet werden könnte, zur Schadenminderung eine Abtreibung vorzunehmen.
Zusammenfassung
- Ein Gynäkologe, der die Fehlbildung eines Fötus nicht erkannt hat, muss für den gesamten Unterhalt des mit einer Behinderung geborenen Kindes aufzukommen.
- Das Urteil des Obersten Gerichtshofes aus der vergangenen Woche hat diverse heikle Fragen aufgeworfen.
- Ärzt:innen und theoretisch auch Hersteller von Verhütungsmitteln könnten für ungewollte Kinder mit und ohne Behinderung finanziell verantwortlich gemacht werden.
- Sie müssten dann gegebenenfalls für den Unterhalt der Kinder aufkommen.