KassenärzteAPA/dpa/Bernd Weissbrod

Gehen Österreich bald die Kassenärzte aus?

In Österreichs Arztpraxen ist Warten alltäglich geworden - auch auf einen Termin. Die kostenpflichtige Alternative, Wahlärzt:innen, oftmals Notwendigkeit statt Option. Doch warum ist das so? PULS 24 suchte nach Antworten.

Wer in den vergangenen Jahren seinem Arzt einen Besuch abstatten wollte, wurde zumeist mit einem Termin in mehreren Monaten vertröstet. Viele wenden sich mit ihren Beschwerden an Wahlärzt:innen. Mehr Zeit und frühere Termine sind die Vorteile. Doch nicht alle können sich die Kosten leisten.

Es scheint so, als würden in Österreich die Kassenärzt:innen ausgehen, Wahlarztpraxen hingegen mehren sich. Laut einer Statistik des Momentum Instituts kamen im Jahr 2006 noch etwa 10,1 Kassenärzt:innen auf 10.000 Einwohner:innen. 2023 waren es nur noch 9,1 Mediziner:innen mit Kassenverträgen.

In naher Zukunft könnte sich der "Engpass" an Kassenärzt:innen noch weiter zuspitzen. Denn viele gehen bald in Pension bzw. legen ihren Kassenvertrag nieder, wie es fachlich korrekt heißt. Das durchschnittliche Alter für Vertragsniederlegungen liegt bei 68,4 Jahren, wie die ÖGK auf PULS 24 Anfrage erklärt. 

Über 40 Prozent der Kassenärzt:innen in ÖO und NÖ gehen in "Pension"

In den kommenden Jahren werden sehr viele Kassenärzt:innen das für Vertragsniederlegungen übliche Alter erreichen und damit ihre Dienste beenden. In Niederösterreich werde das wohl rund 897 Mediziner:innen mit Kassenvertrag betreffen, so die ÖGK, in Oberösterreich sind es 656 Ärzt:innen

In beiden Bundesländern betrifft das somit mehr als 40 Prozent aller Kassenärzt:innen. Betroffen sind aber auch andere Bundesländer. Der Mangel an Kassenärzten dürfte sich also noch weiter zuspitzen. Die ÖGK hält dagegen, dass man immer wieder neue Kassenverträge abschließen würde. 

Video: Ärztemangel in Mistelbach

Kein Mangel, sondern Verteilungsproblem 

Trotzdem neuer Vertragsärzt:innen finden viele Gemeinden keine Nachfolge für offene Kassenstellen.  

An zu wenigen Absolvent:innen oder Studienplätzen für heimische Ärzte - wie etwa die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner behauptete - dürfte es nicht liegen, wie Anita Rieder, Vizerektorin der MedUni Wien betont. 

"Österreich liegt mit der Zahl der Absolvent:innen im internationalen Spitzenfeld und bildet in Bezug auf die Einwohner:innenzahl wesentlich mehr Absolvent:innen aus als vergleichbare Länder", sagt die Vizerektorin Anita Rieder.

Hohe Arztdichte, aber ungleiche Verteilung

Die Dichte an Ärzt:innen sei hierzulande hoch, sagt sie. Sie ortet aber ein Verteilungsproblem. Das bedeutet einerseits, dass die Schere zwischen Wahl- und Vertragsärz:innen immer größer wird. Andererseits gibt es auch mehr Fachärzt:innen als Allgemeinmediziner:innen. Es kommt aber auch in Fachbereichen zu Ungleichverteilungen, so Rieder. 

Um diese ungleiche Verteilung anzugehen, brauche es attraktive Arbeitsbedingungen, meint sie. Arbeitszeiten sollten flexibler werden, der Mangel an Pflegepersonal müsse bekämpft werden und die Bürokratie müsse abnehmen. "Es braucht eine 'Charmeoffensive' und wertschätzenden Umgang mit den nächsten Generationen", hält sie fest.

Mehr Geld für Ärzte

An einer Schraube versuchte die Bundesregierung kürzlich zu drehen: die Bezahlung. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte zuletzt 100 neue Kassenstellen geschaffen, die überdies subventioniert werden. Laut dem kürzlich von der ÖVP vorgestellten "Österreichplan" sollen noch weitere 700 Stellen dazukommen.

Die österreichische Ärztekammer begrüße dies zwar grundsätzlich, die Versorgungslücken bei niedergelassenen Ärzt:innen werden damit aber nicht gelöst, heißt es in einer Stellungnahme. Vielmehr brauche es "ein ganzes Bündel an strukturellen Maßnahmen", so Edgar Wutscher, Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte.

Mehr Stellen mit Bundes-"Startbonus"?

Die Ärztekammer fordert, dass dieser "Startbonus" für die zusätzlichen Bundesstellen auf alle offenen Kassenstellen ausgeweitet wird. Außerdem brauche es einen einheitlichen Leistungskatalog, schießt Wutscher vor allem gegen die ÖGK, die auf eine dementsprechende Forderung der Ärztekammer nur verzögert reagierte. Es brauche auch eine leistungsbezogene Honorierung. 

Aus dem Büro des Grünen-Gesundheitsministers Johannes Rauch heißt auf PULS 24 Anfrage, dass man heuer 300 Millionen Euro für die Schaffung und Besetzung offener Kassenstellen investiert.

Auf die Frage, ob der "Startbonus" für die sogenannten "Nehammer-Stellen" nicht dazu führen würde, das Ärzt:innen ebenjene Stellen bevorzugen, antwortet das Gesundheitsministerium: Falls der "Startbonus" für die neuen Stellen einen Anreiz zeigt, werde er auch auf jene Kassenstellen ausgeweitet, für die nach zweimaliger Ausschreibung noch immer kein Nachfolger gefunden wurde. 

Ob dies die Versorgungslücken füllen kann, bleibt ungewiss. Fakt ist, Österreich hat genügend Ärzt:innen. Eine Ungleichverteilung verursachen aber die sogenannten "Mangelfächer" und vor allem die immer weniger besetzten Stellen in ländlicheren Regionen.

Wie dies gelöst werden kann? Laut Standesvertretern und Ausbildungseinrichtungen durch einheitliche Leistungen sowie bessere Arbeitsbedingungen. Den Ball liege damit im Feld der ÖGK und des Gesundheitsministeriums. 

Interview mit Kurie-Obmann angestellter Ärzte: Mangel verschlechtert sich

ribbon Zusammenfassung
  • In Österreichs Arztpraxen ist Warten alltäglich geworden - auch auf einen Termin.
  • Die kostenpflichtige Alternative, Wahlärzt:innen, oftmals Notwendigkeit statt Option.
  • Doch warum ist das so?
  • PULS 24 suchte nach Antworten.