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"Jina-Revolution": Menschen riskieren alles, auch ihr Leben

Der Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Jahr entzündete die heftigste Protestwelle, die der Iran seit Jahrzehnten gesehen hat. Und immer noch werden Menschenrechte tagtäglich mit Füßen getreten. In den vergangenen Monaten sind die Proteste leiser geworden, der Wunsch nach Freiheit lodert jedoch weiterhin.

"Es gibt jetzt kein Zurück nach dem 16. September 2022", meint Ewa Ernst-Dziedzic, Nationalratsabgeordnete und Grünen-Sprecherin für Außenpolitik, Migration und Menschenrechte.

Wie der Tod einer jungen Frau einen Aufstand entzündete

An diesem Tag starb die iranische Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam. Die 22-Jährige wurde von den berüchtigten Sittenwächtern wegen eines angeblich nicht richtig getragenen Kopftuchs gewaltsam festgenommen. Sie fiel ins Koma und starb in einem Krankenhaus.

Zu ihrer Beerdigung strömten damals Tausende Menschen. Ausgehend von den Kurdenregionen verbreiteten sich die Proteste wie ein Lauffeuer. Sie richteten sich zunächst im Rahmen einer Frauenbewegung gegen den Kopftuchzwang, dann gegen das gesamte islamische System. Amini wurde zum Symbol für den iranischen Widerstand.

"Dieser Fall hat die Welt aufgerüttelt und aufgezeigt, was viele Iraner und Iranerinnen schon lange am eigenen Leib erfahren", meint Ernst-Dziedzic im PULS 24 Interview.

Die Hälfte der iranischen Bevölkerung habe de facto "gar keine Rechte", müsse sich der Sittenpolizei unterwerfen. Den Frauen im Iran werde vorgeschrieben, was sie tragen und tun dürfen. Verstoße man dagegen, müsse man damit rechnen, festgenommen, gefoltert, sexueller Misshandlung ausgesetzt oder gar mit dem Tod bedroht zu werden.

"Unsägliche Grausamkeiten" gegen Protestierende

Seit Beginn der "Frau, Leben, Freiheit"-Proteste habe es laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zahlreiche schwere Menschenrechtsverletzungen im Iran gegeben:

  • Hunderte Menschen wurden rechtswidrig getötet.
  • Tausende Menschen wurden verletzt und gefoltert, darunter auch Kinder.
  • Über 22.000 Personen wurden verhaftet, darunter mindestens 90 Journalist:innen und 60 Rechtsbeistände.
  • Mindestens sieben Protestierende wurden willkürlich hingerichtet.

Für diese Taten ist aber niemand zur Rechenschaft gezogen worden.

Die iranischen Behörden hätten ein Jahr lang "unsägliche Grausamkeiten gegen Menschen im Iran verübt, die sich mutig gegen jahrzehntelange Unterdrückung und Ungleichheit gewehrt haben", kritisiert Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.

"Ein Jahr nachdem Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei gestorben ist, sind diejenigen Staatsbediensteten, die während und nach den Unruhen Verbrechen begangen haben, immer noch nicht strafrechtlich verfolgt oder bestraft worden".

Alles riskieren, auch das eigene Leben

"In welcher Situation müssen die Menschen sein, welche Haltung und Überzeugung müssen sie haben, um zu sagen: Ich riskiere jetzt mein Leben. Es reicht jetzt langsam", so auch Ernst-Dziedzic. Die Situation sei für die Menschen untragbar, deshalb würden sie "alles riskieren", auch ihr eigenes Leben

Das Mullah-Regime Irans hoffe weiterhin, dass die Proteste sich beruhigen und niedergeschlagen werden können. "Ich glaube, da verschätzt man sich", meint die Sprecherin für Menschenrechte.

Tod von Mahsa Amini hat "die Welt aufgerüttelt"

Ewa Ernst-Dziedzic, Nationalratsabgeordnete für die Grünen, im Interview

Proteste leiser geworden, Freiheitswunsch nicht

Die Proteste seien leiser geworden, der Wunsch nach Veränderungen jedoch nicht, meint auch Ali Mahlodji, Autor und Unternehmer, im PULS 24 Interview. Die Menschen würden "andere Wege finden, um ungehorsam zu sein". "Diese Protestbewegung wird weitergehen", meint auch Zehetner-Hashemi.

So würden viele Frauen ohne Hijab auf die Straße gehen, trotz Schikane und Verfolgung. Frauen würden den Protest anführen, seien aber massiv von Männern unterstützt, so die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur gegenüber "Deuschlandfunk". Auch Männer würden öffentlich gegen die Kleidervorschrift verstoßen, indem sie kurze Hosen trugen. Taxifahrer würden immer öfter Frauen ohne Hijab mitnehmen, obwohl sie damit ihre Lizenzen riskieren. Angehörige der ermordeten Demonstrant:innen erinnern an die Opfer und befeuern damit den Protest.

Iran-Proteste: "Es wurde leiser"

Autor und Unternehmer Ali Mahlodji im PULS 24 Interview

Drei Forderungen an Österreich

Unterdessen fordert Amnesty International die internationale Gemeinschaft auf, zu handeln. Die Menschenrechtsorganisation appelliert dringend an alle Staaten, sich auf das Weltrechtsprinzip und andere Mechanismen zu berufen, um die Menschenrechtsverletzungen im Iran aufzuklären und ihnen entgegenzuwirken. 

In Österreich startete Amnesty International am Mittwoch die Kampagne "I ran from Iran" und wandte sich mit drei Forderungen an die Bundesregierung. Österreich solle Maßnahmen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft hierzulande ergreifen und sich für den Schutz von gefährdeten Menschenrechtsaktivist:innen einsetzen, etwa durch die kurzfristige Aufnahme von Personen, die vom iranischen Regime verwundet wurden und in Nachbarländern auf medizinische Behandlung warten.

Außerdem soll man sich für eine Strafverfolgung von iranischen Regimevertretern nach dem Weltrechtsprinzip einsetzen, so Geschäftsführerin Shoura Hashemi.

Atmosphäre "wie Feuer unter der Asche"

Am Todestag Aminis werde im Iran wieder mit vermehrten Protesten gerechnet, meint Ernst-Dziedzic. Auch wird damit gerechnet, dass diese Proteste "brutal niedergeschlagen werden".

Bereits Tage zuvor hat Irans Sicherheitsapparat zusätzliche Kräfte in Aminis kurdische Heimatstadt entsandt. Polizei- und Sicherheitseinheiten seien am Rande der Stadt Saghes stationiert worden, berichteten Augenzeugen.

Die Lage in Saghes, aber auch in anderen Nachbarstädten, war Augenzeugen zufolge angespannt. Bewohner:innen sprachen etwa von einer Atmosphäre "wie Feuer unter der Asche"

ribbon Zusammenfassung
  • Der Tod von Jina Mahsa Amini vor einem Jahr entzündete die heftigste Protestwelle, die der Iran seit Jahrzehnten gesehen hat.
  • Und immer noch werden Menschenrechte tagtäglich mit Füßen getreten.
  • In den vergangen Monaten sind die Proteste leiser geworden, der Wunsch nach Freiheit lodert jedoch weiterhin.