Ein Polizeieinsatz in der Linzer Innenstadt in der Halloween-Nacht.APA/FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Banden und Randale: Wie kriminell ist Österreichs Jugend wirklich?

Karl Mahrer warnt vor Gegenden, in denen Jugendbanden herrschen. Silvester- und Halloween-Krawalle sorgten für Prozessreigen und reichlich Aufregung. Doch steigt die Jugendkriminalität wirklich und was könnten die Gründe sein?

Zwei Burschen, erst 13 und 14 Jahre alt, maskierten sich am vergangenen Freitag und marschierten in eine Bäckerei in Klagenfurt. Dort stießen sie die Angestellte so oft gegen die Registrierkasse, bis sie diese öffnete. Mit mehreren hundert Euro machten sie sich aus dem Staub, der Ältere wurde kurz darauf in der Wohnung seiner Eltern festgenommen. Es soll nicht ihr einziger Raubüberfall gewesen sein.

Am Samstag schnappte dann die Polizei in Oberösterreich einen 13-Jährigen und seine zwei 14-jährigen Kumpanen. Sie sollen vergangene Woche ein Auto gestohlen, bei einer Tankstelle das Zahlen 'vergessen' und den Wagen dann geschrottet haben.

Am Sonntag darauf sollen vier Teenager im Alter von 14 bis 16 Jahren einer 87-jährigen Frau auf offener Straße in Wien-Floridsdorf die Handtasche entrissen haben. Zwei der Jugendlichen hatten Sturmhauben und Softguns dabei. Die Exekutive stellte die Verdächtigen nur wenig später.

Diese Polizei-Meldungen stammen alle von nur einem Wochenende. Gemeinsam ist ihnen, dass die mutmaßlichen Täter auffällig jung sind.

In Deutschland wird nach der Tötung einer 12-Jährigen durch eine Gleichaltrige und ein 13-jähriges Mädchen über die Senkung der Strafmündigkeit diskutiert. Sie liegt wie in Österreich bei 14 Jahren. Aber auch hierzulande häufen sich die Warnungen vor der angeblich so gefährlichen Jugend. Spätestens mit den Krawallen Silvester 2020 in Wien-Favoriten und in Linz an Halloween 2022 wurde das Thema zum Politikum.

Doch steigt die Jugendkriminalität wirklich und was steckt dahinter?

Während die Gesamtkriminalität in Österreich laut der Anzeigenstatistik des Bundeskriminalamts über die Jahre eher sinkt, steigt die Zahl der sehr jungen Tatverdächtigen tatsächlich leicht an, besonders die der Unter-14-Jährigen. 

Zahl der Anzeigen in ganz Österreich.Bundeskriminalamt

Zahl der Anzeigen in ganz Österreich.

Der Anteil der unmündigen Tatverdächtigen stieg in den letzten zehn Jahren nominell und auch prozentuell. Laut Zahlen des Bundeskriminalamts wurden 2022 erstmals mehr als 10.000 Unter-14-Jährige als Tatverdächtige geführt. Das sind 3,4 Prozent aller Tatverdächtigen, vor zehn Jahren lag ihr Anteil bei 2,1 Prozent.

Diebstahl, Körperverletzung, Sachbeschädigung

Die Delikte, für die die Unmündigen verantwortlich gemacht werden, haben sich in den vergangenen zehn Jahren hingegen kaum geändert: Am häufigsten - wenn auch nicht immer in dieser Reihenfolge - kommen Diebstahl, Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Es folgen Delikte wie fahrlässige Körperverletzung, Einbruch, gefährliche Drohung, Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz, Raub, Entwendung, fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr oder auch die "pornografische Darstellung" Minderjähriger.

Anzahl der TatverdächtigenPULS 24

Entwicklung der Anzahl der Tatverdächtigen nach Altersgruppen

Bei den 14-bis 17-Jährigen, sie machten 2022 11,2 Prozent aller Tatverdächtigen aus, ist der Anstieg nicht so stark zu beobachten. Der Anteil der 18- bis 20-jährigen Tatverdächtigen ist sogar rückläufig – 8,6 Prozent aller Tatverdächtigen stammten 2022 aus dieser Altersgruppe, 2013 waren es noch 10,8 Prozent.

Anteil an allen Tatverdächtigen.PULS 24

Anteil der jeweilige Altersgruppen an allen Tatverdächtigen.

Die häufigsten Vergehen bleiben auch bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Delikte wie Diebstahl, Körperverletzung und - häufiger als bei den ganz Jungen – Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz. Bei den 18- bis 20-Jährigen sind Drogendelikte sogar die häufigsten Gesetzeskonflikte.

Top 5 Delikte nach AltersgruppenPULS 24

Die Top 5 Delikte nach Altersgruppen (ohne Suchtmittel)

Egal, ob bei den ganz Jungen oder bei den jungen Erwachsenen: Unter den Top-Ten-Delikten befinden sich nicht nur Bagatelldelikte oder typische 'Jugendsünden'. Auf Raub etwa stehen – bei Über-14-Jährigen – bis zu fünf Jahre Haft. 166 Unter-14-Jährige wurden 2022 des Raubes verdächtigt.

Doch woran liegt nun der Anstieg bei den unter 14-Jährigen und welche Maßnahmen würden helfen?

Das Bundeskriminalamt führt gegenüber PULS 24 mehrere Erklärungen an: Lehrkräfte seien "in den vergangenen Jahren verstärkt sensibilisiert" worden, etwa bei Verletzungen nach Streitereien Anzeigen zu erstatten. Zudem habe die Digitalisierung Auswirkungen – etwa beim Verschicken von Nacktaufnahmen oder Drohungen über WhatsApp. Die Kriminalisten betonen, dass die Aufklärungsquote nach mutmaßlichen Verbrechen allgemein gestiegen sei. "Dadurch werden aber auch mehr Täter ausgeforscht – auch Unmündige und Jugendliche".

Beim Verein Neustart, der sich um straffällig gewordene Jugendliche kümmert und Bewährungshilfe leistet, betont man, dass es bei den Zahlen des Bundeskriminalamts um Anzeigen gehe. Bei den tatsächlichen Verurteilungen gebe es keinen Anstieg. Das zeigen auch Zahlen des Justizministeriums.

Woher kommt die Diskrepanz? Zum einen könnte die Bereitschaft gestiegen sein, auch Jugendliche anzuzeigen. Andererseits sind Unter-14-Jährige nicht straffähig und werden damit nicht verurteilt. Bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen greife man oft zur Diversion oder sogenannten Sozialstunden. Zu Vorstrafen kommt es dann oft nicht. 

"Unterstützung und nicht das Strafrecht"

"Haftstrafen dürfen bei Jugendlichen nur die ultima ratio sein", sagt Neustart-Mitarbeiter Thomas Maracek im Gespräch mit PULS 24. Strafhöhe hätte bei Jugendlichen keine präventive Wirkung, man müsse andere Wege finden, damit sie sich wieder "in der Welt zurechtfinden".

Deshalb lehnt Maracek die Forderungen nach einer Senkung der Strafmündigkeit klar ab: Gerade bei Kindern brauche es "Unterstützung und nicht das Strafrecht". Sinnvoller sei es, auf Sozialarbeit, Psychotherapeuten und Prävention, auch an Schulen, zu setzen. 

Den großen Anstieg bei der Jugendkriminalität sieht man bei Neustart also nicht - man werde 2023 wohl wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen. Dass die öffentliche Wahrnehmung eine andere ist, erklärt Maracek auch damit, dass junge Verdächtige mehr Aufmerksamkeit von Medien bekommen.

Es sind eben spektakuläre Fälle. Vor allem, wenn es um ganze Jugendbanden geht, die ausgehoben werden. Wie etwa im Februar, als die Wiener Polizei von 65 Kinder und Jugendlichen berichtete, die für 110 Straftaten verantwortlich gemacht werden. Der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer warnt auf einer eigens eingerichteten Website derzeit gleich vor "Gegenden, in denen migrantische Jugendbanden herrschen". 

Jugendliche in Gruppen

Die Wiener Landespolizei spricht gegenüber PULS 24 nicht direkt von Banden. Es sei aber eine Zunahme von Straftaten, die von "Jugendlichen in Gruppen" begangen werden, erkennbar. Treffpunkte der Jugendlichen seien immer noch Einkaufszentren, Parks, Bahnhöfe und U-Bahn-Stationen. "Straftaten begehen sie jedoch, im Gegensatz zu früher, im gesamten Stadtgebiet".

Der öffentliche Raum wurde in der Corona-Pandemie noch wichtiger, das ist bekannt. Thomas Maracek vom Verein Neustart sagt, dass es bei Jugendlichen immer schon vorgekommen sei, dass Straftaten wie Sachbeschädigung, Diebstahl oder Schlägereien "nicht ganz alleine" verübt werden, sondern in Gruppen. Eine Häufung von richtigen Banden im eigentlichen Sinn beobachtet er - ähnlich wie die Wiener Polizei - auch nicht. 

Vor allem junge Männer

Die Corona-Pandemie, Schulschließungen und Ausgangssperren sei Thema in Gesprächen mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Als "monokausale Erklärung" greife das aber zu kurz. Viel mehr gehe es in Gesprächen um die soziale Situation der Jugendlichen und andere Probleme.

Ebenfalls "ein falscher Fokus" sei die Migrationsgeschichte der Jugendlichen. Zwar hätten die Jugendlichen, die Neustart zugewiesen werden, "überwiegend" eine solche - aber genau so oft würden andere Merkmale vorkommen. Schwierige Familien und Gewalterfahrungen etwa.

Auch auffällig: Rund 76 Prozent der Tatverdächtigen war 2022 bei den Unter-14-Jährigen männlich, ebenso 78 Prozent bei den 14- bis 17-Jährigen und 82 Prozent bei den 18- bis 20 -Jährigen. "Junge Männer in der Pubertät und bis zum Alter von 25 Jahren weisen das größte Risiko auf, straffällig zu werden", sagt Maracek. "Das gilt kultur- und länderübergreifend".

Sind Kinder und Jugendliche krimineller geworden?

  • Zusammenfassend ist also die Zahl der angezeigten unmündigen Straftäter und Straftaten leicht gestiegen, von jugendlicher Bandenkriminalität kann dabei aber meist keine Rede sein.
  • Dass besonders junge Burschen und Männer öfter gefährdet sind, zu Straftätern zu werden, hat eher einen sozialen Hintergrund und keinen "kulturellen", wie manche Politiker behaupten.
  • Eine Senkung des Strafmündigkeitsalters auf unter 14 Jahre hätte laut Experten keine abschreckende Wirkung. Wirksamer wären mehr soziale Betreuung und Präventionsprogramme.
ribbon Zusammenfassung
  • Karl Mahrer warnt vor herrschenden Jugendbanden, Silvester- und Halloween-Krawalle sorgten für Prozessreigen und reichlich Aufregung.
  • Doch steigt die Jugendkriminalität wirklich und was könnten die Gründe sein?