Ukrainische Journalistinnen: "Haben uns Krieg nicht ausgesucht"
Es ist ein milder Tag Anfang September. In Uschgorod fallen keine russischen Bomben, aber der Krieg ist sichtbar: Denkmäler, Fotos, Fahnen erinnern an die gefallenen Soldaten der Stadt – die Datierung beginnt hier bereits 2014 mit Russlands illegaler Annexion der Krim. In Uschgorod gibt es keine Kämpfe, erzählt Anya, aber wer hier ist, wird trotzdem verletzte Soldaten, Freiwillige oder ein Begräbnis sehen.
Die Männer der Stadt sind im Krieg: Journalismus in der Ukraine ist nun weiblich. Anja, Sascha, Valeria, Irina und Natalia arbeiten als Journalistinnen in der Westukraine. PULS 24 traf sie im lokalen Presseklub.
Sascha war früher Sport-Reporterin, "aber es gibt keinen Sport mehr". Anjas Zwillingsschwester ist Soldatin im Krieg, sie arbeitet als Ärztin. "Sie arbeitet im Donbas, wir wissen alle, die Situation vom Donbass ist weit weg von gut. Wir sind alle etwas nervös." Irina arbeitet im Pressezentrum – sie ist die "Bossin"erzählen die anderen, sie hilft bei psychischen Problemen, der Presseklub bietet Workshops für mentale Gesundheit an.
Alle Männer aus Valerias Familie sind aktuell an der Front. Jede Familie in Transkarpathien hat Männer und Frauen, die kämpfen. Die Hauptrolle der Region ist es aber, eine Art Rückzugsgebiet zu sein, so Sascha.
"Es ist eine Region, in der wir Krieg haben, wir fühlen Krieg, wir leben Krieg, aber wir versuchen hier sicher zu sein und vielen Menschen, die hierherkommen, ein Leben zu geben, dass sie vorher hatten."
Uschgorod liegt direkt an der slowakisch-ukrainischen Grenze. Auch der letzte Ort vor der Ukraine lässt auf die gemeinsame Geschichte von Mitteleuropa und dem Ort der Ukraine schließen "Vysne Nemecké" – sozusagen "Oberdeutschdorf". Neben dem slowakischen, ukrainischen und deutschen Namen gibt es natürlich auch einen ungarischen.
Die Städte und Dörfer der Region Transkarpatien waren schon Teil viele Länder: Bis 1920 gehörten sie zum Reich der Habsburgermonarchie, dann zur Tschechoslowakei, dann zu Ungarn und jetzt entweder zur Slowakei oder Ungarn.
Krieg an der Tagesordnung
Der Krieg hat die Arbeit der Journalistinnen verändert, aber im Zusammenhang damit berichten die Frauen immer noch über Kultur oder Projekte, die Geld für Drohnen sammeln oder Schutzausrüstung für Soldaten.
Natalia forscht an der Uni auch zu Journalismus in der Ukraine – da geht es nicht nur um schwere Themen, sondern auch leichte, erzählt sie. Sie persönlich findet diese Geschichten sehr gut, die Leute arbeiten so viel, wie noch nie zuvor. Früher, vor dem Krieg, war das anders – heute gibt es eine andere Art von Geschichten.
So zum Beispiel über eine 87-Jährige aus Kostjantyniwka im Donezk. Sie lebte nach ihrer Flucht aus dem Kriegsgebiet in Uschgorod in einer Unterkunft. Hunderte Soldaten und Geflüchtete wurden von ihr mit Kuchen und Keksen versorgt. Mittlerweile ist sie verstorben.
Immer wieder berichten sie über Menschen, die zeigen, wie das Leben weitergeht. So auch eine Frau, die sich mithilfe eines norwegischen Projektes einen Blumenladen aufbauen konnte, nachdem ihr Sohn bei der russischen Invasion auf die Krim 2014 verstorben war.
"Die meisten Themen sind mit dem Krieg verbunden, das ist unsere Realität. Egal ob Wirtschaft, Politik oder Kultur."
Abwendung von alten Mustern
Vor dem Krieg war es oft so, dass Männer hinter der Kamera standen und die Frauen als Journalistinnen davor – heute ist das anders, erzählt Sascha. Das sei aber nicht nur im Journalismus so, mittlerweile würde auch das Transportwesen in der Ukraine stärker von Frauen dominiert.
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges wird in der Ukraine die eigene Kultur hochgehalten. "Wir wollen Russisch vergessen und besseres Englisch sprechen", erzählt Sascha. Vor dem Krieg wurde auf Ukrainisch herabgesehen – es galt als eine Sprache für "Bauern" und das Russische galt als gebildet.
"Russen töten Ukrainer, nur weil sie es können, weil sie Ukrainer sein wollten", sagt Sascha in Bezug auf die russische Kultur. Gefeierte russische Literaten, wie Dostojewski oder Chekhov "hasst" sie heute, sie seien "Imperialisten". "Wir haben hier wunderbare Autoren, Maler und Künstler." Seit Kriegsbeginn gibt es einen Leseboom erzählt Natalia, es habe noch nie so viele Menschen gegeben, die ukrainischsprachige Bücher lesen.
Raketen bis weit in den Westen
Es gibt aber auch Themen, die durch den Krieg in den Hintergrund gerückt sind. Anya recherchierte vor dem Krieg viel zur Natur in Transkarpatien. So zum Beispiel ein großes Ferienresort, das schon vor 2022 als umstritten galt. Nun wird der Krieg instrumentalisiert, um es doch zu bauen, erzählt Anya. "Auf der einen Seite müssen wir versuchen, unsere Wirtschaft aufrechtzuerhalten, andererseits gibt es auch Fälle, wo wir an die Natur denken müssten."
"Wir wollen in unserem Land in Frieden leben“
Viele Menschen in Kiew oder anderen Städten sagen, dass Transkarpatien oder Lwiw nicht vom Krieg beeinflusst sind. Auch wenn hier keine Bomben fallen, unser Leben ist in allen Bereichen beeinflusst, sagt Anja. 30 Kilometer von Uschgorod entfernt haben im Sommer bereits Raketen eingeschlagen.
"Die Front liegt zwar hunderte Kilometer von deinem Zuhause entfernt, aber trotzdem ist dein Vater dort", erzählt Sascha. Ihr Onkel kommt aus Berdjansk – die Stadt wurde im März 2022 von Russland eingenommen. Er und seine Familie konnten fliehen, aber ihre Wohnung und ihr Geschäft sind verloren und zerstört. Saschas Neffe ist neun Jahre alt und spricht seit der Flucht nicht mehr – durch Hilfe in einer Münchner Klinik bessert sich sein Zustand mittlerweile.
Wenn die Menschen im Westen sagen, dass die Ukraine den Krieg will, stört das Sascha. "Wir haben uns diesen Hass und den Krieg nicht ausgesucht", sagt Sascha. "Wir wollen in unserem Land in Frieden leben“.
"Ich will wirklich, dass eure Leute und die Menschen im Westen verstehen, dass der Krieg hier nicht aufhört und Russland wird nicht aufhören. Wenn wir fallen, gehen die Russen nach Warschau, Vilnius oder sogar nach Wien."
Zusammenfassung
- Auch im Westen der Ukraine bestimmt der Krieg das tägliche Leben.
- Fünf Journalistinnen erzählen, wieso der Journalismus in der Ukraine nun weiblich ist und sich ihre tägliche Arbeit in mehr als zwei Jahren Krieg verändert hat.
- "Wir haben uns diesen Hass und den Krieg nicht ausgesucht", sagt Sascha. "Wir wollen in unserem Land in Frieden leben“.