EU-Mercosur-Deal: Einigung bis Ende 2023 angepeilt
Über den Aufbau der Freihandelszone zwischen EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay war im Sommer 2019 nach jahrelangen Verhandlungen eine politische Grundsatzeinigung erzielt worden. Der Deal wird allerdings nun von mehreren EU-Staaten wie etwa Frankreich oder Österreich wieder infrage gestellt.
Zuletzt hatte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor dem Gipfel am Montag diese Position als "unverändert" bezeichnet. Dabei verwies er auch auf die "Sondersituation" Österreichs, wo es "auch einen Beschluss des Parlaments gegen Mercosur" gebe. Gleichzeitig betonte Nehammer im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Rohstoffbereich mit Chile, dass es wichtig sei, "Partnerschaften zu schließen".
Kritiker des Abkommens befürchten, dass europäische Landwirte künftig in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird. Vorschläge für eine Zusatzerklärung wollten die Südamerikaner bisher allerdings nicht akzeptieren. Derzeit laufen Verhandlungen über einen Kompromiss. So forderte Lula zuletzt Zugeständnisse für einen stärkeren Schutz von kleineren brasilianischen Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen, da er sich in dem Bereich ein besonders großes Wirtschaftswachstum erwartet.
Während der Amtszeit seines rechtspopulistischen Vorgängers Jair Bolsonaro hatte es zuletzt kaum Fortschritte gegeben. Dessen Politik wurde in der EU mitverantwortlich für verheerende Brände im Amazonas-Regenwald gemacht. So hatte der französische Präsident Emmanuel Macron nach Bränden im Sommer 2019 angekündigt, das bereits ausgehandelte Freihandelsabkommen abzulehnen. Einige Monate später stimmten dann auch die zuständigen Abgeordneten des österreichischen Parlaments in Wien gegen das Abkommen.
Die EU-Kommission versucht seit Jahren, einen Kompromiss zu ermöglichen. Sie verweist immer wieder darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU Milliardenbeträge an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte. Klar ist: Es stehen schwierige Verhandlungen bevor. Es sei beim Gipfel "kein großer Durchbruch" zu erwarten, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zu Beginn des Spitzentreffens. "Aber ich erwarte, dass der Wille zum Ausdruck gebracht wird, weiter hart daran zu arbeiten, um bis Ende des Jahres eine Einigung zu erzielen".
Hoffnung machen nun Zusagen wie die von Lula, der am Montag in Brüssel beteuerte, dass sein Land seine Klimaschutzverpflichtungen erfüllen und ab 2030 keinen Amazonas-Regenwald mehr zu entwalden werde.
Auch der spanische Premier Pédro Sanchez, der derzeit den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft inne hat, äußerte leise Zuversicht: "Wir hoffen, dass wir in diesen sechs Monaten weitere Schritte unternehmen und hoffentlich während unserer Präsidentschaft zu einem positiven Abschluss kommen können." Auch der irische Regierungschef Leo Varadkar betonte, es gebe die Aussicht auf eine Unterzeichnung in den nächsten zwölf Monaten. "Aber Irland gehört zu den Ländern, die Schwierigkeiten mit dem Mercosur haben, weil wir nicht überzeugt sind, dass er in Themen wie Entwaldung, Klima und CO2-Emissionen ausreichend stark sein wird."
Auch in anderen Bereichen liegen die Positionen weit auseinander. Am zweiten Tag des Gipfels soll es um Unterstützung für die Ukraine gehen. Viele Staats- und Regierungschefs in Lateinamerika fordern Friedensgespräche und lehnen Sanktionen gegen Russland und eine klare Unterstützung der Ukraine ab. Mit den linksautoritär regierten Staaten Kuba, Venezuela und Nicaragua hat Moskau außerdem drei Verbündete in der Region, die Russland sogar offen unterstützen.
Bei diesem Thema ortete Nehammer im Vorfeld des Gipfels "Diskussionsbedarf". "Mit dem muss man umgehen, aber vor allem viel diskutieren und sprechen", so Nehammer. Das gemeinsame Ziel sei, "dass der Krieg aufhört" und dass das Getreide aus der Ukraine wieder in die Welt kommt.
Lateinamerika und die karibischen Staaten sind nach Ansicht Nehammers ein "wichtiger Partner" - vor allem im Rohstoffbereich. Dass Europa den Wettkampf gegen China verliert, glaubt er nicht. "Europa hat gezeigt, wie stark es sein kann, wenn es einig ist", betont der Kanzler. "Wir sind nach wie vor ein starker Partner, aber wir müssen uns anstrengen, wir dürfen niemals aufhören, die Konkurrenz ist groß, die Konkurrenz schläft nicht."
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich vor Beginn des Gipfels optimistisch: "Ich bin sehr froh, dass es unverändert so ist, dass viele der Staaten Lateinamerikas sehr engagiert hinterher sind, dass wir jetzt bald zu einem guten Ergebnis kommen", sagte er zum Auftakt des Gipfels in Brüssel. "Ich bin überzeugt, das wird auch gelingen." EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sagte, auch das Europäische Parlament dränge darauf, dass Menschenrechte sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsbelange geschützt würden.
Rund um den Gipfel haben sich auch heimische Unterstützer und Gegner des EU-Mercosur-Handelspakts mit bekannten Standpunkten zu Wort gemeldet. "Nach 20 Jahren Verhandlungen ist das EU-Mercosur-Handelsabkommen ein Dinosaurier und nicht geeignet für die akuten Herausforderungen der Klimakatastrophe", wiederholte der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz seine Kritik. "Das Abkommen beutet die Umwelt aus, nimmt keine Rücksicht auf Menschenrechte und bringt die heimische Landwirtschaft unter massiven Druck", hieß es von der Umweltorganisation Greenpeace.
Zahlreiche internationale Vertreterinnen der gut 450 Organisationen starken zivilgesellschaftlichen Allianz "Stopp EU-Mercosur" protestierten daher heute an Ort und Stelle in Brüssel gegen die umstrittenen Handelsabkommen EU-Mercosur, EU-Chile und EU-Mexiko.
Beide Seiten würden durch gegenseitigen Marktzugang sowie "faire Wettbewerbs- und Handelsregeln massiv profitieren", meint dagegen die Vize-Generalsekretärin der WKÖ, Mariana Kühnel. "Ohne Abkommen verzichten wir freiwillig darauf, positiv auf andere Regionen einzuwirken und den europäischen Standort zu stärken."
Der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria sieht solche Pakte "zur Sicherung unseres Wohlstands unabdingbar" und verweist dabei auf eine zunehmend fragmentierte Welt, in der Europa aktuell an wirtschaftlichem Boden verliere. Abkommen böten beispielsweise Rechtssicherheit. Protektionismus mache "ärmer".
Zusammenfassung
- Am zweiten Tag des Gipfels soll es um Unterstützung für die Ukraine gehen.
- Bei diesem Thema ortete Nehammer im Vorfeld des Gipfels "Diskussionsbedarf".