Wien Modern brachte Museumsräume zum Klingen
Schon 2020 war das Projekt, mit dem das Museum in einen abendlichen Klangparcours verwandelt wurde, angekündigt worden - und musste ebenso wie im Jahr darauf aus Pandemie-Gründen verschoben werden. Nun war es endlich so weit. 74 junge Musikerinnen und Musiker der MUK Wien und der Schola Cantorum Basiliensis aus Basel brachten die Räume vier Stunden lang zum Klingen, wobei die Partitur nicht nur mit Überlagerungen und Überlappungen aus angrenzenden Räumen arbeitete, sondern auch einen zusätzlichen Klangkörper zu berücksichtigen hatte: Das Publikum nahm die Gelegenheit zum permanenten Standortwechsel freudig wahr und wandelte unablässig durch die Säle - was den knarrenden Parkettbodens als zusätzliche Tonquelle mit sich brachte.
Drei Bratschen und drei Violoncelli vor Luca Giordanos "Erzengel Michael", eine von Velazquez` "Infantinnen" umgebende Harfe, zwei Zinken im weltberühmten Breughel-Saal und nebenan zwei Musiker und ein beständig mit Muskelkraft die Blasebälge eines Arciorgano, einer rekonstruierten und aus Kastanienholz nachgebauten mikrotonalen Renaissance-Orgel, bedienender junger Helfer - es waren die einzelnen Klanginseln und ihr Interagieren mit den aus den Nachbarräumen herüberwehenden Klängen, die die Faszination des Abends ausmachten.
Mit Instrumenten aus sechs Jahrhunderten war es ein Gang durch die Musik- wie die Kunstgeschichte gleichermaßen, wobei sich die Ausführenden noch zusätzlich zu konzentrieren hatten, wenn einer der drei Akkordeonspieler, die sich Haas' Konzept zufolge frei durch die Räume bewegten, gerade vorbeispazierte. Und über allem das Staunen über die gebotenen Schätze: Während man einem Geiger lauschte, durfte man in aller Ruhe Giorgiones "Drei Philosophen" betrachten, von den Jahreszeiten-Bildern Arcimboldos kommend betrat man den Tizian-Saal, in dem drei junge Musiker ihre Klangwerke betätigten oder auf die Pauken schlugen. Weltkulturerbe in komprimiertester Form.
Ein genaues Partitur-Konzept ließ sich in diesem begehbaren Klanglabyrinth der an- und abschwellenden Klangteppiche voller Wiederholungen schwer ausmachen. Am ehesten war dies im Kuppelsaal möglich, dem Zentrum des Geschehens. Hier interagierten drei vierhändig bespielte Konzertflügel miteinander, während vom einen Nachbarsaal vier Hörner, vom anderen drei Posaunen gelegentlich ihre musikalischen Grüße schickten. Wer hier auf einer der roten Sitzbänke Platz gefunden hatte, war rasch gefangen und tat sich schwer, wieder aufzubrechen zu einer weiteren Expeditionsetappe.
Wer noch einmal in den Genuss eines Haas'schen Raum- und Klangerlebnisses kommen möchte, hat am Samstag (26.11.) im MAK Gelegenheit, wo drei Stunden lang zu "Iguazú superior, antes de descender por la Garganta del Diablo" spaziert werden kann. Vorher, nämlich am Donnerstag (24.11., 17 Uhr), wird im Hörsaal 7 der Technischen Universität Wien sein Buch "Durch vergiftete Zeiten. Memoiren eines Nazibuben" präsentiert. Und wer mit "Ganymed" wieder durch das KHM wandeln will, der kann das ab 5. Mai 2023: Mit der achten "Ganymed"-Produktion "Ganymed Bridge" machen Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf erstmals auch den Brückenschlag zu dem vis-a-vis gelegenen Naturhistorischen Museum.
(S E R V I C E - https://www.wienmodern.at)
Zusammenfassung
- Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums ist seit 2010 immer wieder zum Schauplatz literarisch-performativer Belebungen auserkoren gewesen.
- Die Gruppe "Wenn es soweit ist" bespielte seit "Ganymed Boarding" die Museumsräume wiederholt nach unterschiedlichen Konzepten.
- Im Rahmen von Wien Modern kam ein Kompositionsauftrag an Georg Friedrich Haas zur Uraufführung: Seine "ceremony II" war ein Mammut-Unternehmen.