steirischer herbst mit parallelen Intendantin-Reden eröffnet
Die wegen Coronaauflagen limitierten und akkreditierten Gäste kamen in den Genuss der "kleinen Rede", wie die Intendantin bemerkte. Die "große Rede" werde über Paranoia-TV gesendet. " Sie können jetzt auf Ihre iPhones schauen und das digitale Ich statt des realen Ichs sehen. Denn die beiden sind nicht dasselbe. Wir haben Sie hier getäuscht, nicht Sie dort vor den hundert Bildschirmen."
In diesem Jahr habe man das Programm digitalisiert, es sei damit kostenfrei für alle: "Ich hoffe, dass damit der steirische herbst dieses Jahr wirklich für alle offen sein kann, in Graz, im ganzen Land und international", merkte Degot an. Eine Rede gebe es dennoch, auch hier und jetzt: "Eine geheime und exklusive lebensnahe Rede für die Wenigen. Und genau darum wird es gehen: um die Exklusivität." Hier hätte sich die Wenigen versammelt, jene, die für den herbst arbeiten würden, Journalisten, Sponsoren oder Sympathisanten. "Wir wissen, warum wir hier so wenige sind: wegen den Abstandsbestimmungen der Coronaregeln. Aber eigentlich hat der steirische herbst schon so funktioniert, wie auch jedes andere avantgardistische Unternehmen: für die Wenigen und durch die Wenigen", führte die Intendantin aus.
Allerdings seien alle Anwesenden auch wegen eines anderen Privilegs hier: Man sei fieberfrei und vermutlich frei vom Coronavirus. "Wir sind auch im wirklichen Leben hier, und das ist ein weiteres Privileg. Ich bin echt, im Gegensatz zu dem anderen Ich auf den Bildschirmen. Das wirkliche Leben hat sich in letzter Zeit, seit einigen Jahrzehnten, aber vor allem während des Lockdowns und danach immer seltener gezeigt. Es ist etwas ganz Exklusives. In letzter Zeit gibt es in unserem Leben mehr digitale Realität als reale Realität", so Degot. Es handle sich um ein Privileg "das sich in die Einzigartigkeit des Augenblicks übersetzt, in die Magie des Jetzt."
Derzeit sei eine "gewaltsame Zersplitterung der Gesellschaft in einzelne Körper, die in ihren Räumen, in ihrem Ein-Meter-Radius, hinter ihren Masken stecken, ohne das Recht, irgendetwas zu teilen", spürbar. "Und all diese gewaltsame Zersplitterung geschieht paradoxerweise in einer Situation, in der seit sehr langer Zeit die ganze Welt fast synchron denselben Zustand durchläuft. Es gibt keine Erste oder Dritte Welt mehr, verschiedene Kulturen oder Identitäten haben keinen Sinn, wir alle durchlaufen die gleiche Zerreißprobe", gab die Intendantin zu bedenken und stellte die Frage, welche Hilfe Kunst in diesen "düsteren Tagen" leisten könne.
"Sie kann es, weil sie uns mit all den Spaltungen, die sie mit sich bringt, und manchmal auch dank ihnen, auf die Dimension dessen hinweist, was nicht da ist. In der Kunst geht es immer um die bessere Welt. Sie hat Perspektive. Sie hat Bewegung, unabhängig vom Medium. Um sie zu feiern, würden wir tanzen. Das können wir jetzt nicht tun, nicht wirklich. Was wir tun können, ist, uns den Tanz in unseren Köpfen, in unseren Körpern vorzustellen in der Hoffnung auf einen echten Tanz, den wir eines Tages, bald, tanzen werden, alle zusammen."
Zusammenfassung
- "Wir haben Sie in die Irre geführt", meinte die Intendantin des steirischen herbst gleich zu Beginn der Eröffnung am Donnerstag.
- Ihre Rede vor einer kleinen Gruppe angemeldeter Gäste im Freien vor dem Orpheum war nämlich nicht jene, die auf hundert Bildschirme in der ganzen Stadt gesendet wurde.
- In der Live-Rede ging es um die Exklusivität und das echte Leben, "die Magie des Jetzt", wie es Degot formulierte.