Lazar in Innsbruck: Tänzeln am Weltkriegsabgrund
Der Effekt daraus: Keine Figur wurde wirklich ernst genommen, der allgegenwärtig drohende Krieg zum absoluten Witz. Die dafür notwendige Stimmung für das durchaus rasante Werk setzte Marboe bereits mit der Eingangsszene: Engel inklusive Petrus intonierten "Heaven is a Place on Earth" von Belinda Carlisle. Weitere Lieder folgten im Verlauf des rund hundertminütigen Abends, etwa Fragmente des Elektro-Klassikers "Come to Daddy" von Aphex Twin oder gegen Ende "Heaven is a Halfpipe" der Band OPM.
Dass der Stoff damit nicht ausschließlich in den 1930er-Jahren angesiedelt war, belegten auch etliche textliche Adaptierungen und Aktualisierungen, in denen etwa Bezug auf das Internet und allerhand andere Dinge und Umstände genommen wurde, die in der Zeit von Lazar noch nicht einmal vorstellbar waren. Auch ein Auftritt der "Glücksbärchis" wäre der lange Zeit vergessenen Literatin Lazar wohl nicht in den Sinn gekommen.
Trotz klarer Bezüge zum damals heraufziehenden Zweiten Weltkrieg - Stechschritt, faschistisches Gebaren und Kanonengrollen inklusive - war die Hölle auf Erden somit wohl ein schwer zu definierender "Andersort", eine Art postmoderne Überlagerung von Zeiten, Rollen und Möglichkeiten. Das zum Teil schrille Bühnenbild und die durchaus gewagten Kostüme von Elisabeth Weiss unterstützten und unterstrichen diesen Eindruck: Es handelte sich um ein Szenario, in dem schlicht über alles und jeden gelacht werden durfte und in dem Moral und Tabus keine Rolle mehr spielten. Apropos Rollen: Auch dort ging es drunter und drüber, was sich darin ausdrückte, dass die dreißig Figuren in kaum zu folgenden Abfolgen von lediglich neun Personen gespielt wurden.
Natürlich war auch der Stoff von Lazar selbst eine Steilvorlage für eine solche aberwitzige Auslegung, bei der es einem zum Teil schwindelte. Es ging jedenfalls in irrwitzigem Tempo mit Petrus unter anderem in Richtung Genf, wo ein gewisser Professor F gemeinsam mit einem recht ratlosen, phrasendreschenden Völkerbund die Welt doch noch vor der totalen Vernichtung retten wollte. Unterwegs begegnete man außerdem dem Teufel höchstpersönlich, der zum Schluss des Stücks noch eine unerwartete Rolle in diesem wildgewordenen Weltgeschehen spielen sollte. Auch Gott hatte dann doch noch - mutmaßlich - seinen Auftritt und war erwartungsgemäß und logisch argumentierbar eine Frau.
Am Ende ging die Welt so oder so vorerst doch nicht unter, aber alles lag - abermals komödiantisch interpretiert - im Argen. Als letzte Flucht angesichts der wenig zufriedenstellenden Gesamtsituation blieb womöglich nur der dezente Wahnsinn. Das Lachen, das Marboe hier gemeinsam mit dem Lazar-Stoff thematisierte und auf die Bühne brachte, wäre damit das Lachen von Menschen, die an der Wahnwitzigkeit der Welt schlicht in eine haltlose Verrücktheit gekippt waren.
Das Publikum ging diesen Weg in den lustig gedachten Irrsinn jedenfalls bereitwillig mit und quittierte die abwegigsten Szenen beispielsweise mit im Theaterkontext eher unüblichem Szenenapplaus. Dennoch behielten sich die Zuseher in den nicht ganz ausverkauften Kammerspielen noch einiges an Applaus für den Schluss auf: Sowohl die Darstellerinnen und Darsteller als auch Regisseurin Marboe wurden eifrig beklatscht und wohlwollend bejubelt.
(Von Markus Stegmayr/APA)
(S E R V I C E - "Die Hölle auf Erden" von Maria Lazar. Regie: Anna Marboe. Bühne, Kostüme und Video: Elisabeth Weiss. Musik: Clemens Sainitzer, Alexander Yannilos, Vincent Sauer. Mit: Marion Reiser, Philipp Rudig, Cansu Şîya Yıldız, Petra Alexandra Pippan, Daniela Bjelobradic, Kristoffer Nowak, Ulrike Lasta, Sara Nunius, Stefan Riedl. Weitere Vorstellungen: 28. September, 4., 5., 11., 23. und 24. Oktober, 6., 22. und 29. November, 14., 27. und 31. Dezember. www.landestheater.at)
Zusammenfassung
- Das Theaterstück 'Die Hölle auf Erden' von Maria Lazar wurde am Samstagabend in den Kammerspielen des Tiroler Landestheaters uraufgeführt.
- Die Inszenierung von Anna Marboe integrierte Popmusik und moderne Bezüge, um eine skurrile und komödiantische Atmosphäre zu schaffen, was das Publikum mit Szenenapplaus und starkem Schlussapplaus honorierte.
- Die Aufführung dauerte rund hundert Minuten und beinhaltete dreißig Figuren, die von neun Darstellern in schnellen Abfolgen gespielt wurden.