Kulturhauptstadt-Chefin Schweeger: "Ein Exempel für Europa"
APA: Frau Schweeger, Sie sind gebürtige Wienerin. Wie gut kannten Sie das Salzkammergut, und was haben Sie alles über die Region gelernt in den vergangenen zweieinhalb Jahren?
Elisabeth Schweeger: Ich kenne das Salzkammergut recht gut. Meine Großeltern waren in Salzburg. Wir hatten ein Haus in St. Gilgen, und da haben wir viel Zeit verbracht. Es ist eine wahnsinnig schöne Region, bei der man das Gefühl hat, es läuft eh alles perfekt. Aber wenn man dann näher hinschaut, sieht man auch die Defizite, die alle ländlichen Räume in den letzten Jahren entwickelt haben. Das ist europaweit ein Phänomen, und deswegen ist es interessant, sich mit dieser Gegend auseinanderzusetzen.
APA: Die Menschen hier im Salzkammergut meinen oft, anders zu sein als die anderen. Können Sie das bestätigen?
Schweeger: Im ländlichen Raum gibt es immer einen Eigensinn. Der ist auch hier vorhanden. Er ist auch historisch bedingt. Diese Art Widerspenstigkeit ist aber auch sympathisch, führt zu guten Gesprächen und letzten Endes auch zu interessanten Ergebnissen.
APA: Die Gesellschaft steht vor großen Transformationen. Welche Rolle soll da die Kultur spielen, und welche Möglichkeiten bietet dazu ein Event wie die Kulturhauptstadt Europas?
Schweeger: Vor 40 Jahren war der Grundgedanke von Melina Mercouri und Jack Lang bei der Erfindung der Kulturhauptstadt, dass Kunst das Fundament einer Gesellschaft ist. Das merkt man auch hier: Wenn man dem vorhandenen Potenzial Raum gibt, sich zu entwickeln, ist es ein unglaublicher Input für künftige Visionen. Dann entstehen Möglichkeiten, Perspektiven aufzubauen für junge Leute, nicht davonzulaufen, sondern dazubleiben. Es geht darum, dass man in diesem ländlichen Raum unter Beweis stellt: Es ist ein Zukunftsraum, ein Möglichkeitsraum - und das steht exemplarisch für ganz Europa.
APA: Das Label heißt "Kulturhauptstadt Europas". Wie oft haben Sie denn schon Menschen erklären müssen, dass jetzt Ortschaften wie Laakirchen oder Obertraun sich Hauptstadt nennen dürfen?
Schweeger: Der Findungsprozess war für alle eine Herausforderung, auch zu sehen: Was kann ich alles mit diesem Titel machen? Was bietet er für Möglichkeiten, etwa, um im politischen Raum Gehör zu bekommen für Projekte, die notwendig sind, um die Region nach vorne zu treiben. Das Interessante ist ja, wie alles miteinander verbunden ist: Wirtschaft, Politik, die kreative Szene, das Soziale. Alles greift ineinander und hängt voneinander ab. Veränderung geht wirklich nur mit einem gemeinsamen Impuls!
APA: Fehlende Gemeinsamkeit war Teil der schlechten Schlagzeilen, die die Kulturhauptstadt in der Anfangsphase gehabt hat. Wie ist es Ihnen gelungen, das zu kalmieren?
Schweeger: Indem man geredet hat, sich zusammengesetzt hat, eingefordert hat, dass man sich an einen Tisch setzt. Irgendwann haben sie dann gemerkt, dass man gemeinsam stärker ist und mehr Schlagkraft entwickeln kann, und dass alle Gemeinden ähnliche Probleme haben - ob das Klimawandel, Mobilitätsfragen oder Infrastrukturfragen betrifft. Wie gibt man der Kreativszene einen freien Raum, wie kann man die Leute vor Ort partizipativ mitnehmen, wie geht man mit der Bodenversiegelung um, mit Leerständen? Ich glaube, da hat ein Bewusstseinsprozess stattgefunden, der sie zusammengeschweißt hat. Da hat die Kulturhauptstadt schon etwas gebracht.
APA: Ist es nicht absurd, einen Hebel über Brüssel zu brauchen, um Nachbargemeinden zu größerer Zusammenarbeit zu bringen?
Schweeger: Absurd ist es nicht, es ist einfach ein Instrument. Und Europa muss auch wissen, was es hier für ein tolles Instrument an der Hand hat. Das Salzkammergut ist wie ein Exempel für Europa. Im Kleinen formuliert es das, was Europa eigentlich könnte, wenn es mehr den Willen zum Miteinander als zum Gegeneinander entwickeln würde.
APA: Das Salzkammergut ist eine Region, die sich sehr stark über Tourismus definiert. Deswegen war im Ursprungskonzept die Auseinandersetzung mit Overtourism, der besonders in Hallstatt eklatant ist, ein großes Thema. Wie viel ist davon übriggeblieben?
Schweeger: Sehr viel. Worum geht es eigentlich im Tourismus? Da kommt ein Fremder und schaut sich ein Land an. Er bringt seine Kultur mit und trifft auf eine Kultur, die er nicht kennt. Es ist eigentlich ein Prinzip des Austauschs und des Dialogs. Deswegen haben wir es "Sharing Salzkammergut" genannt, und "Die Kunst des Reisens" angehängt, weil es um eine Art Entschleunigung geht. In diese Richtung haben wir einiges orientiert und dabei versucht, auch darauf hinzuweisen: Es lohnt sich, in der Nebensaison ins Salzkammergut zu kommen. Es lohnt sich auch, hierzubleiben. Es geht darum, auch jenseits des Tourismus Attraktionen zu schaffen, dass junge Leute Perspektiven haben. Das Hauptproblem ist Braindrain. Dem kann man versuchen, mit solchen kulturellen Programmen entgegenzuwirken.
APA: Jedes Kulturhauptstadt-Programm bewegt sich im Spannungsfeld zwischen international und lokal. Wie ist dieser Konflikt im Salzkammergut ausgegangen?
Schweeger: Ich glaube, dass die Konflikte dadurch entstehen, weil man sagt: Warum kriegt der was, und warum krieg ich nichts? Das ist aber ein normaler Prozess. Beim Open Call gab es über 1.000 Einreichungen. Das ist einerseits wahnsinnig gut, weil es darauf hinweist, dass es in der Gegend einen Willen zur Kreativität gibt. Wir wussten aber auch, das wir nur einen Bruchteil in die Umsetzung bringen können. Das hat viele Gründe, vor allem aber finanzielle. Wir haben dann versucht, einen Marktplatz der Ideen zu gründen, wo man sich austauschen und Fördergeber treffen kann, um die Projekte auch jenseits der Kulturhauptstadt auf die Beine zu stellen. Letzten Endes ist die Kulturhauptstadt ein Anreger, der sagt, was möglich ist. Und hier ist viel möglich. Das ganze Jahr über.
APA: Sie beginnen als erste der drei Kulturhauptstädte des kommenden Jahres. Was erwartet die Menschen, die zur Eröffnung nach Bad Ischl kommen?
Schweeger: Ein Fest. Die Region feiert nach mehreren Jahren Schwerarbeit. Sie feiert sich, sie feiert die Gäste, sie feiert die Künstlerinnen und Künstler. Es ist ein Loslassen, es schön Haben, Genießen und tollen Künstlern Zuschauen.
APA: Welche Highlights sollte man sich keinesfalls entgehen lassen?
Schweeger: So etwas die Programmleiterin zu fragen, ist schwierig, weil ich natürlich viele Projekte gut finde. Man soll in den Zug steigen, dann sieht man die ganzen leer stehenden Bahnhöfe, die plötzlich zu künstlerischen Treffpunkten werden mit Artists in Residence oder kleinen Wirtshauslaboren. Man soll sich im Stollen in Ebensee die wirklich tolle Ausstellung mit Chiharu Shiota anschauen. Man kann bei der Eröffnung eine Operette von Oscar Straus anschauen, die Barrie Kosky inszeniert hat, "Eine Frau, die weiß, was sie will". Man kann sich "Urlicht" mit Franui anschauen, die Mahler gemeinsam mit einer australischen Zirkustruppe adaptieren. Es gibt genügend großartige Ausstellungen, etwa eine Comicausstellung mit Simon Schwartz im Steinberghaus in Altaussee, oder "Salz und Wasser" im Sudhaus, wo man sieht, dass man leer stehende Gebäude aktivieren kann. In Gmunden werden Sie die Stadtgärtnerei sich zu einem Kunstquartier entwickeln sehen, so wie sich das Handwerkshaus in Bad Goisern international aufstellt. Etliche Museen werden relaunched, etwa das Stadtmuseum in Bad Ischl oder das Literaturmuseum in Altaussee. Es gibt eine großartige Ausstellung zum Kunstraub, "Die Reise der Bilder"...
APA: Wieso kann man ausgerechnet diese Ausstellung nicht in der Region zeigen, sondern muss ins Lentos nach Linz ausweichen?
Schweeger: Sagen Sie mir, ob es hier ein Museum gibt, das die dafür notwendigen Klima- und Sicherheitsbedingungen hat? Das gibt es hier nicht. Aber das wird sich vielleicht entwickeln. Wir arbeiten mit Linz, Salzburg und Graz zusammen, um darauf hinzuweisen, dass diese drei großen Städte aufs Salzkammergut einzahlen und auch von ihm ernährt werden. Da gibt es einige Kooperationen. Das wollte ich, damit man sieht, wie alles zusammenhängt und sich vernetzt.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
ZUR PERSON: Elisabeth Schweeger wurde am 24. März 1954 in Wien geboren und studierte Komparatistik und Philosophie in Innsbruck, Wien und Paris. 1993 bis 2001 war sie künstlerische Leiterin des Marstall und Chefdramaturgin am Bayerischen Staatsschauspiel in München, danach bis 2009 Intendantin des Schauspiel Frankfurt. Von 2009 bis 2015 leitete sie die KunstFestSpiele Herrenhausen in Hannover, 2014 bis 2022 war sie künstlerische Direktorin und Geschäftsführerin der Akademie für Darstellende Künste in Baden-Württemberg. 2021 wurde sie als Künstlerische Geschäftsführerin der Kulturhauptstadt Bad Ischl - Salzkammergut 2024 GmbH bestellt.
(S E R V I C E - www.salzkammergut-2024.at/ )
Zusammenfassung
- Am 20. Jänner wird die "Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024" offiziell eröffnet.