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"Die Geschichte von Uljana": Liebe, Tod und Vernichtung

Das Amadoka-Epos geht weiter. Der Mittelteil von Sofia Andruchowytschs Trilogie, deren deutsche Übersetzung im vergangenen Jahr mit der 2014 spielenden "Geschichte von Romana" gestartet wurde, erzählt "Die Geschichte von Uljana" und führt mitten in ein besonders blutiges Kapitel der an dunklen Perioden reichen ukrainischen Vergangenheit. Das Buch spielt in den 1940er-Jahren und handelt vom NS-Eroberungskrieg, von Judenverfolgung und sowjetischem Terror.

Amadoka soll ein riesiger See auf dem heutigen Staatsgebiet der Ukraine gewesen sein, von dem in antiken Quellen die Rede war, für dessen damalige Existenz heutige Forschung aber keine eindeutigen Belege gefunden hat. Das südöstlich von Lviv (Lemberg) gelegene galizische Städtchen Butschatsch, in dem "Die Geschichte von Uljana" spielt, gibt es dagegen. Es ist der Geburtsort von Simon Wiesenthal. In jüngster Zeit bekannt wurde es aber durch die Studie "Anatomie eines Genozids", in der der israelische Historiker Omer Bartov "Vom Leben und Sterben einer Stadt namens Buczacz" berichtete.

In dem idyllisch gelegenen Städtchen, in dem Juden die Mehrheitsbevölkerung darstellten, lebten einst polnische, ukrainische, deutschsprachige und jüdische Mitbürger zusammen. Bartov recherchierte in seiner Mikrogeschichte, wie die nationalsozialistische deutsche Besatzungsmacht 1942/1943 mithilfe von Ukrainern, die sich in den Dienst der Besatzung stellten, über 10.000 Juden umbrachte oder deportierte, wie die Sowjettruppen 1944 nach der Befreiung der Stadt eigene Säuberungen durchführten und wie die kurzfristige Rückeroberung durch die Wehrmacht den wenigen überlebenden und aus ihren Verstecken gekommenen Juden doch noch das Leben kostete. Es ist die Dokumentation eines endlosen Schreckens, die nun durch Sofia Andruchowytsch ein Gesicht bekommt. Zwei Gesichter: jenes des ukrainischen Mädchens Uljana und des jungen Juden Pinkas.

Die 1982 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Tochter des bekannten ukrainischen Autors Jurij Andruchowytsch erzählt nicht geradlinig. Sie gliedert ihre Erzählabschnitte durch die Beschreibung von Fotografien, die man leider nicht zu Gesicht bekommt, und sie flechtet in den Hauptstrang Episoden aus dem Leben von Baal Schem Tov ein, der im 18. Jahrhundert in der Ukraine den Chassidismus begründete. Aber allmählich wird klar: Im Mittelpunkt steht eine verhinderte Liebesgeschichte zweier jungen Menschen, die von der Umgebung sofort zu unterbinden versucht wird. Sie sind sicher: eine Ukrainerin und ein Jude - das kann nicht gut gehen! Dieses Urteil bewahrheitet sich auf verschlungene und schreckliche Weise.

Andruchowytsch beschreibt in herzzerreißenden Begebenheiten die grausame Willkürherrschaft, die die deutschen Besatzer und ihre Handlager in der Stadt etablieren und die verzweifelten Versuche der Bevölkerung, sich dieser zu entziehen - durch Flucht, Arrangement, Unterordnung oder durch Untertauchen. Offener Widerstand ist so gut wie nie darunter. Diese Erkenntnis zieht sich durch die gesamte Holocaust-Forschung. Während sich Uljana als Krankenschwester um verletzte deutsche Soldaten kümmern und ihre Zudringlichkeiten abwehren muss, steht Pinkas Leben immer wieder aufs Neue an der Kippe.

Nach Jahren des Überlebens unter widrigsten Umständen landet der junge Mann, mehr einem Gespenst als einem Lebenden gleich, in einem Versteck unter der Eingangstreppe zu Uljanas Vaterhaus. Nun wird Uljana selbst zur Herrin über Leben und Tod. Es beginnt ein letztes Kapitel der Beziehung und des Buches, das dem Leser alles abverlangt und buchstäblich unter die Haut geht.

Der Schrecken bekommt noch eine Fortsetzung: Teil 3 des Amadoka-Epos, "Die Geschichte von Sofia", erzählt von der Vernichtung der ukrainischen Intelligenzia während des Stalinismus. Die deutsche Übersetzung soll im Oktober erscheinen.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Sofia Andruchowytsch: "Die Geschichte von Uljana. Das Amadoka-Epos 2", übersetzt von Alexander Kratochvil und Maria Weissenböck, Residenz Verlag, 432 Seiten, 28 Euro)

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  • Das Amadoka-Epos geht weiter. Der Mittelteil von Sofia Andruchowytschs Trilogie, deren deutsche Übersetzung im vergangenen Jahr mit der 2014 spielenden "Geschichte von Romana" gestartet wurde, erzählt "Die Geschichte von Uljana" und führt mitten in ein besonders blutiges Kapitel der an dunklen Perioden reichen ukrainischen Vergangenheit. Das Buch spielt in den 1940er-Jahren und handelt vom NS-Eroberungskrieg, von Judenverfolgung und sowjetischem Terror.