Der Wald stirbt: Köcks "solastalgia" im Burgtheater-Kasino
Köck agiert wie kaum ein anderer thematisch am Puls der Zeit, verweigert aber realistische oder gar aktivistische Zeitstücke. So ist auch dieser Text, der vor einem Jahr vom Autor selbst beim Kunstfest Weimar uraufgeführt wurde, weniger ein Stück mit Handlung und Konflikten denn ein dramatisches Gedicht, das seine Spannung im Beharren des Kunstanspruchs auch gegenüber der Natur bezieht. Der Natur sind die Menschen egal, heißt es mehrfach. Wir wollen vielleicht die Natur retten, umgekehrt ist das aber sicher nicht der Fall. "Wir werden verschwinden", heißt es im Refrain eines der eingestreuten coolen Songs.
Regisseurin Christina Rast hat in dieser Koproduktion des Burgtheaterstudios mit dem Max Reinhardt-Seminar den Text auf fünf junge Schauspieler verteilt, die man sich allesamt auch angeklebt auf einer Straße vorstellen könnte. Doch auf der Bühne heißt die Parole nicht "Fridays for Future" sondern: "We're fucked." So paart sich die Wut des aus Sophie Borchhardt, Laura Schlittke, Flo Sohn, Tristan Witzel und Sarah Wockenfuß gebildeten Quintetts mit dem Versuch, Kunst und Engagement, Natur und Poesie zu verbinden.
Es ist eine Gratwanderung, die Gefühl und Verstand gleichermaßen anzusprechen versucht, und die sich auch in der Ausstattung von Kathrin Krumbein spiegelt. Im Bühnenhintergrund hat sich ein Turbinenrad in den Boden gegraben. Die Technik ist am Sand, auf Grund gelaufen, festgefahren. Auf dem Boden liegt ein grüner Teppich, der handschriftliche Handlungsanleitungen zitiert. Diese erschließen sich einem ebenso wenig von selbst wie der Titel des Stücks. Solastalgie soll ein Verlustgefühl beschreiben, das jemand hat, der die Veränderung oder Zerstörung der eigenen Umgebung unmittelbar miterleben muss. Geprägt wurde der Begriff 2005 durch den australischen Naturphilosophen Glenn Albrecht, der dabei etwa an Dürrekatastrophen, aber auch an die Verheerungen von großflächigem Tagbau gedacht hatte.
Dass wir Zeugen rasend schnell stattfindender Veränderungen unserer natürlichen Habitate werden, ist ebenso unbestritten wie der beklagenswerte Umstand, dass die Politik kaum darauf reagiert. Der Förster, der in Köcks Stück vorkommt, verzweifelt daran. In Christina Rasts Inszenierung begegnet man ihm ebenso wenig wie der tragischen Vaterfigur, die der Autor ebenso eingebaut hat. Diese realistischen Handlungselemente sind in den rund 75 packenden Minuten weitgehend getilgt. Doch ganz ohne realistische Bezüge geht es nicht. Deswegen zuckt man zusammen, als behauptet wird, eine ausgetrocknete Waldfläche von 400.000 Quadratmeter entspreche der Größe des Saarlandes. Hier hat sich der Autor ungefähr um den Faktor 5.000 vertan. Dennoch ein starker Abend, der entsprechend gefeiert wurde.
(S E R V I C E - "solastalgia" von Thomas Köck, Regie: Christina Rast, Bühne und Kostüme: Kathrin Krumbein, Musik: Bo Wiget. Mit: Sophie Borchhardt, Laura Schlittke, Florian Sohn, Tristan Witzel, Sarah Wockenfuß, Koproduktion Burgtheater mit dem Max Reinhardt Seminar, Österreichische Erstaufführung im Kasino am Schwarzenbergplatz, Nächste Vorstellung: 24.9., www.burgtheater.at)
Zusammenfassung
- Solche bitteren Wahrheiten bekommt man in "solastalgia" von Thomas Köck laufend an den Kopf geworfen.
- Dennoch ist das Stück des Oberösterreichers, das am Samstag im Kasino am Schwarzenbergplatz seine Österreichische Erstaufführung hatte, kein simpler Agit-Prop.
- Hier hat sich der Autor ungefähr um den Faktor 5.000 vertan.
- (S E R V I C E - "solastalgia" von Thomas Köck, Regie: Christina Rast, Bühne und Kostüme: Kathrin Krumbein, Musik: Bo Wiget.