Sorgsam oder stark sein: Auch Männer kämpfen, aber wie?
Stark, mutig, hart und dominant - Attribute, die "Männlichkeit" unweigerlich zugeschrieben werden - auch heute noch. Es sind genau jene Rollenbilder, die am 19. November, dem internationalen Männertag in den Fokus rücken.
Zugegebenermaßen ist der internationale Männertag im Vergleich zum prominent gefeierten Frauentag im März eher unbekannt. Frauen kämpfen nach wie vor mit gesellschaftlichem Ungleichgewicht. Der Männertag hatte in den vergangenen Jahren indes immer mehr an Relevanz gewonnen. Denn auch Männer leiden unter gesellschaftlichem Druck, aber einem anderem als Frauen.
PULS 24 hat sich via einer Online-Umfrage bei den Lesern umgehört und gefragt: Liebe Männer, wie geht es euch?
Zwischen Familienoberhaupt und "Doppelbelastung"
PULS 24 hat über eine Woche hinweg Zusendungen von Männern erhalten. Diese zeichnen ein einstimmiges Bild - Männer beschäftigt im Alltag vor allem die Familie, ihre Rolle und die Erziehung ihrer Kinder. Vor allem aber "die Familiengründung und die damit verbundenen Kosten" seien eine Herausforderung, schreibt ein Leser PULS 24.
Damit ist er nicht allein, immer noch fühlen sich viele Männer hauptverantwortlich für den Erhalt der Familie. So belastet auch einen anderen Mann die Verantwortung, "den Großteil des Familieneinkommens" zu erwirtschaften.
Meine Rolle und meine Verantwortung als der Teil der Familie, der den Großteil des Familieneinkommens erwirtschaftet, die finanziellen Erwartungen meiner Frau, die Beziehung zu ihr und die Zukunft meiner Kinder.
Alexander Haydn, Psychotherapeut bei der Männerberatung Wien, wundern diese Antworten nicht. Vielmehr spiegeln sie einen generellen Trend wider. Männer würden vermehrt eine "Doppelbelastung" fühlen, denn die Partner- und Vaterrolle aktiv zu leben sei neben einem aktiven Beruf teils schwierig.
Die Idee, dass ein "richtiger Mann" seine "Familie ernähren muss", sei natürlich sehr überholt, betont Haydn. Dennoch würden Männer diese Vorstellung in der Regel schon sehr früh erwerben und verinnerlichen.
Von Stärke, über Dominanz bis zum Konkurrenzkampf
Was erschwerend hinzukommt: Statt sich Unterstützung von anderen Männern zu holen, würde man(n) diese viel eher als "Konkurrenz" sehen.
Diese Problematik beschreibt auch ein Leser in der PULS 24 Umfrage. Er merke, wie es ihm schwerfalle, "mit anderen Männern über Gefühle zu sprechen". Leichter sei es für ihn, mit Frauen zu reden.
Ein weiterer nennt ebenfalls "Dominanzverhalten" als ein stereotypisches, männliches Merkmal. "Vergleiche mit anderen Männern" seien belastend, heißt es in einer weiteren Antwort.
Haydn beobachtet Ähnliches in der Gesellschaft, dort könnten sich Männer laut ihm etwas von Frauen abschauen, die würden im Schnitt eher zusammenhalten. "Männer haben immer so ein Rivalitäts- und Konkurrenzsystem und das gilt es ein bisschen aufzuweichen", so der Psychotherapeut. Ziel sei es, dass nicht jeder Mann als potenzieller Rivale gesehen werde.
Stark belastete Psyche
Der Konkurrenzkampf zieht noch eine weitere Folge mit sich: Männer berichten mehrheitlich, dass sie immer noch das Gefühl haben, stark sein zu müssen – und das nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.
Viele Zusendungen beschreiben etwa "den alltäglichen Kampf" gegen Depressionen, dass trotzdem aber Arbeit und Familie nicht vernachlässigt werden dürfen.
Der alltägliche Kampf gegen meine Depression. Trotz allem in die Arbeit gehen, den Haushalt machen und nicht inmitten von allen Aufgaben und Verantwortungen unterzugehen.
Jegliche psychische Belastungen - berichtet wird auch von Angstzuständen oder genereller Einsamkeit - dürften in der Öffentlichkeit jedoch keine Rolle spielen. Denn man wolle "keine Schwäche zeigen".
Mehr Männer gehen zum Coaching
Dass dieser Druck zu viel wird, berichtet auch Haydn. In den vergangenen fünf Jahren seien vermehrt jene Männer ins Coaching gekommen, die nicht mehr wissen, wie sie alles unter einen Hut bekommen sollen.
Es sei ein "ganz positiver Weg", denn noch immer würden Männer sich oft schwertun, ihre Gefühle überhaupt zu benennen.
"Männer kennen Wut und Ärger, das hat er schon in der Sandkiste gelernt. Aber dass es da große Differenzierung braucht, dass man spüren muss, wie geht es mir mit einer bestimmten Situation, was bewegt mich, was verletzt mich", gehe oft unter, so Haydn.
Ich versuche aktiv, mehr mit Männern in der Familie oder dem Freundeskreis über emotionale Themen zu sprechen
Männer öffnen sich langsam
Der Wandel, wenn er auch langsam voran geht, lässt sich auch in den Zusendungen beobachten. "Ich versuche aktiv, mehr mit Männern in der Familie oder dem Freundeskreis über emotionale Themen zu sprechen", schreibt einer.
Ein anderer wolle "reflektiert über gesellschaftliche Verhältnisse nachdenken" und "patriarchale Strukturen" erkennen können.
Gewaltprävention im Kommen
Das spiegelt sich auch in der steigenden Nachfrage nach Gewaltprävention, weiß Haydn. Zwar seien die Zahlen immer noch gering, doch würden mittlerweile mehr Männer lernen wollen, wie sie mit ihren Aggressionen besser umgehen können – und das bevor es noch zu einer Eskalation kommt.
Um die vorherrschenden Rollenbilder vom Mann als starker, erhaltender Familienvater zu durchbrechen, brauche es aber noch viel Arbeit.
Haydn fordert etwa eine gerechtere Aufteilung der Karenzzeit sowie mehr psychosoziale Angebote. Er betont auch die Wichtigkeit von positiven Vorbildern, die zeigen, dass Männer eben nicht nur stark, sondern auch sorgsam sein können.
Video: Müssen Männer mehr Sport machen?
Wohin, wenn's einem schlecht geht:
- 24h Männerhotline: 0800 246247
- Männerberatung Wien: +43 1 603 28 28
Zusammenfassung
- Moderne Gesellschaft, aber traditionelle Rollenbilder. Ein Faktum, das Frauen seit vielen Jahren laut werden lässt.
- Männer hingegen bleiben still. Aber auch sie kämpfen im Alltag mit Belastungen.
- Sie können sich teils in psychischen Probleme äußern. Besprochen werden sie nicht.
- Seit Jahren versucht dies der internationale Männertag am 19. November ändern. PULS 24 wollte daher wissen - wie geht es Männern eigentlich?