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Obdachlos im Winter: "Habe heute noch kalte Füße"

Die Winterkälte kann für Menschen, die auf der Straße leben, lebensgefährlich werden. Hilfsorganisationen wie die Caritas versuchen besonders in der kalten Jahreszeit zu helfen und befürchten einen Anstieg an wohnungslosen Menschen. Wie es ist, bei Minusgraden in Parks zu nächtigen und wie man die Obdachlosigkeit bezwingen kann, erzählt ein Betroffener im Gespräch mit PULS 24.

Die Temperaturen weit unter null Grad, die Matratze triefend nass und ein junger Mann in hagerer Statur, der sie von einem Park zum anderen schleppt. Einige Wochen lang war Martin Klinger mit ihr - der Kälte - konfrontiert, ehe er anderweitig Unterschlupf fand. Im Winter ist es besonders hart, kein Dach über dem Kopf zu haben, weiß er. 

Martin landete mit 17 Jahren auf der Straße und war alkohol- sowie drogenabhängig, erzählt er im Interview mit PULS 24.  Als 20-Jähriger kam er nach Wien und verbrachte seine Nächte meist in Parks, wie etwa dem Alfred-Grünwald-Park im sechsten Bezirk. "Da habe ich die Kälte so richtig kennengelernt", sagt er. Sein Begleiter: eine Schaumstoff-Matratze. "Die ist halt nach ein-, zweimal verwenden, Müll", erinnert er sich. 

Schlafmöglichkeiten für Obdachlose zu 95 Prozent ausgelastet

Der Winter ist für wohnungslose Menschen in Wien eine besonders harte Zeit. Einrichtungen wie das Kältetelefon der Caritas bieten Obdachlosen im Winter Hilfe an. Rund 3.000 Mal wurde seit November bereits beim Kältetelefon angerufen, erklärt eine Sprecherin der Caritas Wien auf PULS 24 Anfrage. Tendenz steigend: Allein im ersten Halbjahr 2023 wurden über 1.600 Delogierungen (also die Zwangsräumung der Wohnung) in Wien festgestellt. 

Die Streetworker der Caritas versorgen Obdachlose mit dem Nötigsten (wie Schlafsäcke, Tee oder Suppen) und vermitteln die rund 1.000 Notfallschlafplätze, die es zusätzlich zum Regelangebot über die Wintermonate in Wien gibt. 

KältetelefonePULS 24

Doch gerade im Winter sind diese Betten zu 95 Prozent ausgelastet, heißt es von der Caritas Wien. Ab Mai endet dieses, von der Stadt Wien finanzierte, Winterpaket. Dann fallen die Notquartiere wieder weg, wie eine Sprecherin des "P7", die Erstanlaufstelle für wohnungslose Menschen in Wien, gegenüber PULS 24 erklärt. Sie bieten Beratung sowie Notversorgung an und verwalten auch die Notquartiere in Wien. 

"Wir haben auch in der wärmeren Jahreszeit sehr viele obdachlose Menschen in der Beratungsstelle", so die Sprecherin. Die Stadt Wien finanziert die Quartiere. Organisationen wie die Caritas, das Rote Kreuz, oder die Volkshilfe bieten sie an. Das "P7" wird von der Caritas betrieben.

Wir sehen, dass die Zahl an Delogierungen im Steigen begriffen ist - alleine in Wien gab es im ersten Halbjahr 2023 1.694 Delogierungen.

Sprecherin der Caritas Wien

Wohnungslosigkeit "im Steigen begriffen"

Dass die Betten gerade in dieser Zeit knapp werden, liegt einerseits an der Kälte, andererseits aber auch an der Anzahl der Obdachlosen. Letztere ist nämlich "im Steigen begriffen", wie die Caritas Wien auf Anfrage bestätigt.

Laut dem Sozialministerium seien derzeit 20.000 Menschen in Österreich wohnungslos gemeldet. Die Dunkelziffer sei aber noch viel höher - gerade bei Frauen. 

Mehr Mittel für "Wohnungsschirm" des Sozialministeriums

Auf die Anfrage, wie man einer potenziell steigenden Wohnungslosigkeit in Österreich entgegenwirken will, verweist ein Sprecher des Sozialministeriums auf den "Wohnungsschirm". Dieser wurde 2022 eingerichtet, um Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, zu unterstützen.

Hierbei habe man im Jahr 2024 die Mittel aufgestockt, heißt es weiter. Auch wenn Energierechnungen nicht mehr gezahlt werden können, greift der "Wohnungsschirm" unterstützend ein.

Weiters gibt es außerdem das "housing first österreich - zuhause ankommen" der BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe). Menschen ohne Dach über dem Kopf werden mit dieser Initiative Wohnungen vermittelt. Grundsätzlich seien aber auch die Bundesländer für die Prävention und den Schutz Obdachloser zuständig, so der Sprecher.

"Verstehe nicht, warum es noch immer an Empathie fehlt" 

Der Grund für steigende Wohnungslosigkeit ist wohl die Teuerung. Darauf deutet auch Martin hin: "Gerade jetzt, die Mieten steigen, dann muss man bei jemand anderem übernachten, weil man sich das nicht mehr leisten kann und dann kann man dort nicht mehr schlafen und zack, man ist auf der Straße", beschreibt er. 

Gerade weil die Teuerung so viele betrifft, verstehe er nicht, warum es noch immer an Empathie fehlt. Er wünsche sich, dass die Feindseligkeit gegenüber Menschen auf der Straße aufhört. Deshalb erzählt der gebürtige Burgenländer in seinem Job heute von der Obdachlosigkeit. Er machte sich mit Stadtführungen unter dem Namen "Wiener Nimmerland" selbstständig.

Er selbst habe rund sieben Jahre gebraucht, um sich von der Zeit auf der Straße zu erholen, da es ihm "nur schlecht ging". Doch er hat es geschafft, weil "sich viel Glück ergeben hat", wie er meint, und er seine Freundin kennenlernte. Sie war ebenso drogensüchtig. Martin fühlte sich gegenüber ihr verantwortlich und wusste, er müsse "was ändern". 

Obwohl er nun schon längere Zeit nicht mehr auf der Straße lebt, ist ihm eines geblieben: Der Schauder, wenn er an seine triefnasse Matratze im Park denkt. "Ich habe heute noch kalte Füße", sagt er. 

ribbon Zusammenfassung
  • Die Winterkälte kann für Menschen, die auf der Straße leben, mitunter lebensgefährlich werden.
  • Hilfsorganisationen wie die Caritas versuchen besonders in der kalten Jahreszeit zu helfen und befürchten einen Anstieg an wohnungslosen Menschen.
  • Wie es ist, bei Minusgraden in Parks zu nächtigen und wie man die Obdachlosigkeit bezwingen kann, erzählt ein Betroffener im Gespräch mit PULS 24.