Mysteriös und bestgeprüft: 100 Jahre Quantenmechanik
Am 29. Juli 1925 ging in der "Zeitschrift für Physik" der berühmte Artikel "Über quantentheoretische Umdeutung kinematischer und mechanischer Beziehungen" des deutschen Physikers Werner Heisenberg (1901-1976) ein, der damals Assistent am Göttinger Institut für Theoretische Physik war. Diese Arbeit, aus der Heisenberg in der Folge gemeinsam mit Max Born und Pascual Jordan in Göttingen in kurzer Zeit eine konsistente Theorie entwickelte, "markiert den Beginn der Quantenmechanik", schreibt die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), die das IYQ mit initiiert hat.
Im Bemühen, das Verhalten der Bausteine der Materie besser zu verstehen und zu beschreiben, hatten sich in den Jahren vor Heisenbergs Durchbruch die Grenzen der klassischen Physik immer deutlicher gezeigt. Die klassische Physik eignete sich wunderbar, die Phänomene der Alltagswelt zu beschreiben, versagte aber zunehmend, je kleiner die beobachteten Objekte und Vorgänge wurden. Heisenbergs Theorie öffnete die Tür für ein völlig neues Verständnis der atomaren und subatomaren Welt.
Doch die Arbeit fiel Heisenberg nicht einfach in den Schoß. Es sei vielmehr "ein langer Weg gewesen, der von der Einsicht von der Unzulänglichkeit der klassischen Mechanik im Mikroskopischen zur fertigen Theorie führte", so die DPG.
Wenn man 1925 als Zäsur in der Geschichte der modernen Physik betrachtet, könne man sich dabei "nicht auf ein konkretes Ereignis stützen, nicht auf die Großtat einer Entdeckung", schreibt der deutsche Wissenschaftsjournalist Thomas de Padova in seinem kürzlich erschienenen Buch "Quantenlicht - Das Jahrzehnt der Physik 1919-1929". "Was am Ende dieses Jahres Gestalt annimmt, hat kein Einzelner vorgedacht, niemand alleine in die Welt gesetzt, geschweige denn gänzlich begriffen. Die Geburt der Quantenmechanik ist einer der rätselhaftesten Vorgänge der Wissenschaftshistorie."
So könnte man 2025 durchaus auch 125 Jahre Quantenphysik feiern. Ist es doch Max Planck im Jahr 1900 erstmals gelungen, die beobachtete Strahlungskurve eines sogenannten Schwarzen Körpers korrekt zu beschreiben - und damit erstmals die unerwarteten Quanteneigenschaften der Natur zu offenbaren. Denn bis dahin ging man davon aus, dass sich die Energie der elektromagnetischen Strahlung kontinuierlich erhöht. Planck zeigte dagegen, dass dies nur quantenweise, also in "Stücken", passieren kann.
Es folgten weitere Quantenkonzepte: Albert Einstein stellte 1905 seine Hypothese über "Lichtquanten" auf, um den photoelektrischen Effekt zu erklären. Niels Bohrs 1913 formuliertes Atommodell basierte darauf, dass Elektronen im Atom nur ganz bestimmte Energiezustände einnehmen können und bei der Emission oder Absorption von Licht nur von einem zum anderen Energieniveau "springen" können ("Quantensprung").
Diese und weitere neue Erkenntnisse ließen die Notwendigkeit einer Neuformulierung der klassischen Mechanik immer drängender werden. Zudem lieferten zahlreiche Experimente zunehmend detaillierte Einblicke in den Aufbau der Atome. Doch Beobachtungen wie die von angeregten Atomen ausgesendeten Lichtfrequenzen - die sogenannten Spektrallinien und ihre Intensität - ließen sich nicht schlüssig erklären, speziell wenn die Atome einem externen Magnetfeld ausgesetzt wurden.
Der Durchbruch gelang Heisenberg mit nur 23 Jahren - nach regem Austausch mit dem österreichischen Physiker Wolfgang Pauli - mit seiner im September 1925 veröffentlichten Arbeit. Das Grundkonzept dafür soll der heuschnupfen-geplagte Physiker bei einem Erholungsaufenthalt in der Meeresluft Helgolands ersonnen haben.
Nach stundenlangem Rechnen sei er zutiefst erschrocken gewesen: "Ich hatte das Gefühl, durch die Oberfläche der atomaren Erscheinungen hindurch auf einen tief darunter liegenden Grund von merkwürdiger innerer Schönheit zu schauen, und es wurde mir fast schwindlig bei dem Gedanken, dass ich nun dieser Fülle von mathematischen Strukturen nachgehen sollte, die die Natur dort unten vor mir ausgebreitet hatte", wird Heisenberg immer wieder zitiert.
"Wesentlich in Heisenbergs Arbeit war, dass er nur über Dinge sprach, die man wirklich beobachten kann", erklärte die Quantenphysikerin Beatrix Hiesmayr von der Universität Wien gegenüber der APA. Und sie bringt einen Vergleich mit dem Fußball: Dort kann man gut beobachten, wie der Ball von einem Spieler zum nächsten geht und vielleicht auch einmal im Tor landet. Bei Heisenbergs "Fußballspiel" wird dagegen das Licht abgedreht - zu sehen ist nur die Ausgangssituation, also etwa der Ausschuss des Tormanns, und dann der Ball im Tor - "wie er dorthin gekommen ist, hat er erstmals in der Mathematik seiner Theorie nicht aufgenommen", so Hiesmayr.
Zurück zur Physik: Heisenberg nimmt in der Arbeit Abstand von grundlegenden Begriffen der klassischen Mechanik wie Ort, Geschwindigkeit, Bahn oder Umlauffrequenz eines Elektrons im Atom, weil sie sich in der Welt des Kleinsten als untauglich erwiesen haben. "Stattdessen konzentrierte er sich in seiner der klassischen Mechanik analogen quantentheoretischen Mechanik nur auf tatsächlich messbare Größen wie Frequenz und Intensität der Spektrallinien", sagte der Theoretische Physiker Gerhard Ecker von der Uni Wien zur APA. Er hat sich in mehreren Büchern mit der Geschichte der Quantenphysik beschäftigt und arbeitet aktuell an einem Buch über Wolfgang Pauli.
Dass Heisenberg angesichts der Fülle mathematischer Strukturen schwindlig wurde, ist nicht grundlos: Die Arbeit war mathematisch komplex und seine damit befassten Göttinger Kollegen Max Born und Pascual Jordan erkannten darin rasch eine Matrizenrechnung. Gemeinsam mit Heisenberg schufen sie in der berühmten "Dreimännerarbeit" eine konsistente Theorie.
Genial sei daran auch, dass sie "neue mathematische Objekte dafür gefunden haben, ein Jein abzubilden", so Hiesmayr. Dieses "Jein" ist ein grundlegendes Konzept der Quantenphysik, das sich etwa im Überlagerungszustand (Superposition) verschiedenster Zustände zeigt. So kann sich ein Quantenteilchen gleichzeitig an mehreren Orten befinden - solange man mit keiner noch so raffinierten Messmethode das Teilchen im Prinzip dabei beobachten könnte.
Auch wenn ihre Erfolge, experimentelle Resultate zu erklären, beeindruckend sind, stößt Heisenbergs Quantenmechanik nicht auf ungeteilte Zustimmung. Albert Einstein spricht von "Hexeneinmaleins". Ihn stört zudem, dass eine Theorie ausschließlich auf beobachtbaren Größen fußt.
Doch in der Physik geht es in den 1920er Jahren Schlag auf Schlag: Der französische Physiker Louis de Broglie stellte 1924 die These auf, dass auch das Elektron Welleneigenschaften zeigt. Pauli formuliert 1925 sein Ausschließungsprinzip, wonach sich zwei Elektronen nicht im gleichen Quantenzustand befinden können. Wenige Monate nach Heisenbergs Quantenmechanik schuf der österreichische Physiker Erwin Schrödinger basierend auf der Materiewellen-Idee de Broglies und ausgehend von der klassischen Mechanik eine Wellenmechanik.
Er belegt dann in der Folge, ebenso wie Pauli, dass seine Wellengleichung und Heisenbergs Matrizenrechnung trotz völlig unterschiedlicher Form und Ausgangspunkte mathematisch äquivalent sind. Die Schrödinger-Gleichung hatte nur einen Vorteil: ihre mathematische Form war den Physikern vertrauter. Mittlerweile wird für die Entwicklungen im Bereich Quantencomputer und -kryptographie hauptsächlich wieder die Matrizenmechanik benützt.
Auch der britische Physiker Paul Dirac fand angeregt durch Heisenbergs Arbeit seine eigene Fassung der Quantenmechanik. Und 1928 gelang ihm dann die Formulierung einer relativistischen, also auf der speziellen Relativitätstheorie beruhenden Quantenmechanik. Er schuf damit die Grundlage für die Entdeckung der Antimaterie.
Auf dem von Heisenberg und seinen Kollegen gelegten Fundament errichten bis heute Physikerinnen und Physiker weltweit das Gebäude der Quantenmechanik - ohne sie wirklich zu verstehen, weshalb ihr nach wie vor auch ein gewisses Misstrauen entgegenschlägt.
Doch Verstehen ist so eine Sache: Ein Kleinkind, das einen Lichtschalter erkundet, versteht zwar nach einiger Zeit dessen Funktion. Aber von Strom oder Photonen hat es keine Ahnung.
So ähnlich geht es den Physikern: "Wir verstehen die Quantenphysik, wenn wir den Anfangszustand kennen und wissen, was alles wirken kann. Dann können wir sehr gut mit den Rechenregeln der Quantentheorie vorhersagen, was das Ergebnis sein wird. Das Problem ist, dass uns die Rechenregeln nicht sagen, was da wirklich passiert", so Beatrix Hiesmayr.
Trotz ihres außerordentlichen Erfolgs in vielen Bereichen der Physik und ihres Einflusses auf moderne Technologien habe die Quantenmechanik "immer etwas Mysteriöses an sich", schrieb das Fachjournal "Nature" anlässlich des 100. Jahrestags von de Broglies Idee von Materiewellen. Diese Rätselhaftigkeit liege nicht nur an den gelösten und ungelösten Paradoxa und offenen Fragen der Theorie, sondern auch an ihren "zahlreichen widersprüchlichen Interpretationen". Dazu zählen Auslegungen mit so schönen Namen wie Kopenhagener Deutung, Viele-Welten-Theorie, Quanten-Bayesianismus oder Quantendarwinismus.
Heerscharen von Physikerinnen und Physikern haben sich seit Heisenbergs Publikation darum bemüht, die Quantentheorie zu widerlegen. "Sie sind alle daran gescheitert. Es gibt kein einziges Experiment, das uns irgendwie zweifeln lassen könnte, dass irgendetwas nicht so funktioniert wie diese komischen Regeln, die die Quantentheorie vorgibt", betonte Hiesmayr. Die Quantenmechanik gilt daher als die experimentell am besten getestete Theorie in der Physik.
Ihre Verlässlichkeit ist auch der Grund, warum man bereits von der zweiten Quantenrevolution spricht. Man versteht die eigenartig anmutenden Phänomene der Quantenwelt nicht wirklich, aber kann damit rechnen und sie nutzen.
Von künftigen Anwendungen wie Quantencomputer, -kryptographie, -simulatoren oder -sensoren werden ähnlich disruptive Potenziale für Gesellschaft und Wirtschaft erwartet wie die aus der ersten Quantenrevolution hervorgegangenen Technologien, die die Gesetze der Quantenmechanik nutzen, etwa Transistoren, Mikroprozessoren oder Laser.
(Von Christian Müller/APA)
(S E R V I C E - https://quantum2025.org; https://www.quantum2025.de)
Zusammenfassung
- Die UNO hat 2025 zum 'Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie' erklärt, um das Bewusstsein für die Quantenphysik zu stärken.
- Werner Heisenbergs Arbeit von 1925 markiert den Beginn der Quantenmechanik und revolutionierte das Verständnis der subatomaren Welt.
- Die Quantenmechanik, die von Heisenberg, Born und Jordan entwickelt wurde, ist heute die am besten getestete Theorie in der Physik.
- Max Plancks, Albert Einsteins und Niels Bohrs Beiträge waren entscheidend für die Entwicklung der Quantenphysik.
- Neue Technologien wie Quantencomputer und -kryptographie könnten ähnlich disruptive Auswirkungen haben wie die erste Quantenrevolution.