Kaunertal - Warnung vor Felsstürzen, Tiwag: "Bleibt sicher"
"Die Hochgebirge verändern sich wegen der Klimakrise schnell und irreversibel", hielt Gutachter Wilfried Haeberli, Geomorphologe und emeritierter Professor an der Universität Zürich, gegenüber Journalisten fest. Das Schmelzwasser des wohl noch in diesem Jahrhundert verschwindenden Gletschers Gepatschferner im Kaunertal wird laut einer Analyse in drei neu gebildete Seen münden. Diese könnten sich um die Jahrhundertmitte bilden. Eine Gefahr berge in diesem Zusammenhang das Auftauen von Permafrost: "Ein großes Sturzereignis aus umliegenden Bergflanken könnte im See eine Flutwelle zum Gepatschspeicher auslösen", warnte der Wissenschafter vor möglichen Folgen.
Haeberli sah bereits jetzt ein "großes Potenzial von Stürzen oberhalb des Gepatschferners". In den vergangenen Jahren habe es auf zwei Bergen im Kaunertal bereits "Massenbewegungen mit mehreren Millionen Kubikmetern" gegeben. Dies sei bisher "glimpflich" abgelaufen - aber das muss nicht weiter der Fall sein", zog er einen Vergleich mit einem verheerenden Sturzereignis im indischen Himalaya, als im Jahr 2023 eine Sturzflut mehrere Menschenleben forderte sowie Zufahrtsstraßen und landwirtschaftliche Flächen zerstört hatte. "Die Alpen sind weniger gigantisch als die Berge im Himalaya", räumte er ein. Trotzdem müssten markante Veränderungen berücksichtigt werden, wurde einmal mehr gegen die Realisierung des geplanten Mega-Pumpspeicherkraftwerks Versetz samt Speichersee mobil gemacht.
Die Naturschutzorganisation WWF hatte indes bereits in der Vergangenheit Gutachten vorgelegt, die vor instabilen Hängen rund um das Kraftwerk warnten. Das Projekt wurde von der landeseigenen Tiwag im Jahr 2023 bereits einmal eingereicht. Im Rahmen der Vollständigkeitsprüfung zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) hätten mehrere Gutachten festgehalten, dass auf Naturgefahren zu wenig eingegangen werde, sagte Maximilian Frey vom WWF. Zudem würden Gefahren betreffend das bestehende Kraftwerk in der UVP nicht berücksichtigt. "Das macht uns Sorgen", drängte Frey auf die Abklärung von "Sicherheitsfragen" durch unabhängige Experten und generell auf einen Stopp der Ausbaupläne.
"Ich bin sicher, dass Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) den Ernst der Lage erkennen wird", erklärte der Umweltschützer. Er verwies einmal mehr auf Alternativen zum Kaunertal-Ausbau, den er etwa in einem Pumpspeicher beim Kraftwerk Kühtai sah.
Tiwag sieht Sicherheit in jeder Hinsicht
"Die Sicherheit der Bevölkerung im Kaunertal ist auch künftig gewährleistet und der Speicher Gepatsch bleibt auch mit dem neuen Pumpspeicher Versetz sicher", betonte hingegen die Tiwag in einer Reaktion auf das Gutachten gegenüber der APA. Zum einen werde der Zustand des Speichers Gepatsch laufend überwacht - und zwar seit der Inbetriebnahme des Kaunertalkraftwerkes im Jahre 1964. Dies erfolge durch weisungsfreie Experten der Tiwag, die "lückenlos an die Behörde berichteten", sowie durch unabhängige Fachexperten des Unterausschusses der österreichischen Staubeckenkommission, die alle fünf Jahre den Speicher begutachten und prüfen, wurde betont.
Darüber hinaus verwiesen die Tiwag-Verantwortlichen darauf, dass es im Zuge der Planungen für das Pumpspeicherkraftwerk zu zusätzlichen Erkundungen des Untergrundes am Gepatschspeicher sowie vertieften Messungen gekommen sei. Außerdem würden die "Belastungen auf die Speicherhänge durch den Auf- und Abstau im Gepatschspeicher durch den Pumpspeicher Versetz im Vergleich zum heutigen Betrieb nicht erhöht."
In puncto Sicherheit des Pumpspeichers Versetz verwies man auf eingehend erfolgte Untersuchungen. Diese sei nämlich durch die bereits erwähnte Staubeckenkommission, eine unabhängige Expertenkommission des Landwirtschaftsministeriums, "im Detail überprüft und positiv begutachtet worden", hieß es. Mit dem Ergebnis: Der geplante Pumpspeicher Versetz habe keine Auswirkungen auf die Hänge des Gepatschspeichers. Und außerdem: Ebendies werde im UVP-Verfahren von unabhängigen Gutachtern der Behörde zusätzlich zur Begutachtung durch die Staubeckenkommission noch mal im Detail überprüft.
Auch was die Naturgefahren betraf, kalmierte die Tiwag: Dies sei im Rahmen der Planungen für den Pumpspeicher umfassend untersucht worden und überdies Teil der Umweltverträglichkeitserklärung (UVE) und der nachfolgenden UVP. "Die Untersuchungen zeigen, dass Muren, Steinschlag oder Lawinen die Sicherheit von Damm und Speicher nicht beeinträchtigen. Das Vorhaben Pumpspeicher Versetz ist nicht negativ von Permafrost betroffen, dies unabhängig von den unterschiedlichen Klimaszenarien", hieß es in dem Statement des Landesenergieversorgers.
Projekt soll in zwei Phasen umgesetzt werden
Die Tiwag kündigte indes gegenüber der APA an, das nunmehr adaptierte Projekt im April zur UVP einreichen zu wollen. Im Vorjahr war entschieden worden, dass man das Mega-Vorhaben in zwei Projektteile splitten will. Zuerst soll das neue Pumpspeicherkraftwerk mit dem Speicher Platzertal umgesetzt werden. Im zweiten Projektteil ist etwa das Unterstufenkraftwerk Prutz 2 und das Kraftwerk Imst 2 mitsamt umstrittener Wasserableitungen aus dem Ötztal geplant.
Neben dem WWF machte unterdessen auch die Bürgerinitiative "lebenswertes kaunertal" gegen die Kraftwerkspläne mobil und warnte in einer Aussendung vor Bodenerosion und Murenabgängen. Der grüne Klubobmann im Landtag, Gebi Mair, drängte wiederum auf die Offenlegung der Tiwag-Gutachten zum Gepatschspeicher und dem geplanten Speicher im Platzertal. Die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ würden der Tiwag "die Mauer" machen und die Veröffentlichung ablehnen. Zur Bewertung der Sicherheitslage gehören nun "alle Informationen auf den Tisch", forderte Mair.
Die Pläne für das Mega-Pumpspeicherkraftwerk waren zum ersten Mal im Jahr 2009 eingereicht worden. Die UVP war erstmals 2012 gestellt worden. Die Tiroler Landesregierung bekannte sich zum Kraftwerksausbau im Kaunertal. Die Tiwag betonte stets, am Kraftwerksprojekt führe kein Weg vorbei, um die in Tirol für 2050 anvisierte Energieautonomie zu erreichen.
Zusammenfassung
- Die geplante Erweiterung des Kraftwerks im Kaunertal durch Tiwag stößt auf Widerstand von Naturschützern, insbesondere vom WWF, der vor Naturgefahren wie Felsstürzen warnt.
- Gutachter Wilfried Haeberli hebt die Risiken durch das Auftauen von Permafrost hervor, das Flutwellen im Gepatschspeicher auslösen könnte.
- Tiwag betont die Sicherheit des Projekts und verweist auf kontinuierliche Überwachung seit 1964 sowie positive Gutachten unabhängiger Experten.
- Das Projekt soll in zwei Phasen umgesetzt werden, beginnend mit dem Pumpspeicherkraftwerk und dem Speicher Platzertal, mit Einreichung zur UVP im April.
- Die Tiroler Landesregierung unterstützt das Projekt als Teil der Energieautonomie bis 2050, trotz Forderungen nach mehr Transparenz von Bürgerinitiativen.