Gefahr Kaufsucht: "Medikament für schwierige Gefühle"
Selten dominieren massive Preisreduktionen und Schnäppchen so sehr die Werbung wie am Black Friday. Die Message ist klar: Am besten, man kauft nicht nur jetzt, sondern auch viel. Besonders wenn die Woche schon anstrengend war, dann verleiten solche Angebote womöglich besonders zum Kauf von Artikeln, die man eigentlich gar nicht braucht.
Es gehe dann weniger um das Produkt als um das Kaufen als Belohnung, erklärt Ute Andorfer, klinische Psychologin am Anton-Proksch-Institut.
Kaufen als "Medikament für schwierige Gefühle"
In Österreich versuchen etwa 27 Prozent "seelische Schieflagen" durch Kaufen zu kompensieren, so Andorfer. Bei sieben Prozent der Österreicher:innen gehe das Problem aber weiter: Sie leiden unter einer Kaufsucht.
Kaufintensive Zeiten wie Black Friday oder die Vorweihnachtszeit seien für Betroffene aber keine "Trigger", sie würden das ganze Jahr über kaufen. Das reine Angebot löse zudem noch keine Sucht aus, schließlich werde auch "Alkohol beworben, aber deswegen wird man nicht suchtkrank", erklärt Andorfer. Bei der Sucht diene Kaufen als "Medikament für schwierige Gefühle".
Zuwendung erkaufen
Das Produkt sei dabei gänzlich nebensächlich. Andorfer erzählt von einer Patientin, deren Kellerabteil mit Katzenzubehör und -futter vollgeräumt war, dabei habe sie gar keine Katze gehabt. Hier seien andere Dynamiken im Spiel: Es gehe primär darum, Zuwendung zu bekommen - etwa durch die nette Verkäuferin im Tiergeschäft um die Ecke.
Die Kaufsucht sei normalerweise nur die "Spitze des Eisbergs", Betroffene würden in 90 Prozent der Fälle auch an anderen Krankheiten wie etwa weiteren Substanzsüchten, Depressionen oder Zwangsstörungen leiden. Sie hätten oftmals ein geringes Selbstwertgefühl und seien sozial ängstlich.
Isolation aus Scham
Durch die Sucht würden sich Betroffene noch weiter isolieren, da ihre Wohnungen teils kaum noch bewohnbar seien. So habe eine von Andorfers Patientinnen nur mehr den Couchtisch und das Sofa verwenden können, so sehr hätten ihre gehorteten Produkte ihre Wohnfläche vermüllt.
Das damit verbundene Schamgefühl mache es für Menschen auch besonders schwierig, eine Therapie in Anspruch zu nehmen. Sie würden sich nur sehr selten für einen stationären Aufenthalt entscheiden, so die Psychologin. Dabei brauche es gerade hier Distanz zum eigenen Leben, um die Sucht wieder in den Griff zu bekommen.
Wer ist gefährdet?
Besonders häufig würden junge Frauen an einer Kaufsucht erkranken, mit zunehmendem Alter würde die Gefahr abnehmen, sagt Andorfer. Problematisch sei es auch, wenn Eltern ihren Kindern vorleben, dass man Kaufen "zur Stimmungsaufhellung einsetzen" könne.
Gefährdet für "kompensatorisches und süchtiges Kaufen" seien auch Menschen, die wenig verdienen, oder bereits hohe Schulden haben. "Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, dann ist man wahrscheinlich bereit, mehr Risiken einzugehen", fasst Andorfer zusammen.
In einer Therapie lernen Betroffene, die Bedürfnisse hinter dem entgleisten Kaufverhalten zu hinterfragen. Teilweise lassen sie sich auch bei gewissen Online-Plattformen sperren, um nicht so leicht in Versuchung zu geraten. Was reizvolle Angebote zu Kauf-Hochsaisonen angeht, gibt Andorfer Entwarnung: "Werbung allein macht keine Kaufsucht".
Zusammenfassung
- Das vorweihnachtliche Shopping hat für viele spätestens mit dem Black Friday begonnen, doch ab wann wird Kaufen gefährlich?
- Die klinische Psychologin Ute Andorfer erzählt, wer besonders gefährdet ist, von einer Kaufsucht und ob Schnäppchen-Angebote "Trigger" sind.
- Bei der Sucht diene Kaufen als "Medikament für schwierige Gefühle".
- Die Kaufsucht sei normalerweise nur die "Spitze des Eisbergs", Betroffene würden in 90 Prozent der Fälle auch an anderen Krankheiten wie etwa weiteren Substanzsüchten, Depressionen oder Zwangsstörungen leiden.
- Was reizvolle Angebote zu Kauf-Hochsaisonen angeht, gibt Andorfer Entwarnung: "Werbung allein macht keine Kaufsucht".